Wo jeder noch jeden kennt
BAYER. UNTERMAIN (hk). Sie sind klein, voll von schönen Geschichten und Vielen trotzdem unbekannt – unsere kleinsten Ortschaften. Tief verborgen und nicht immer offensichtlich sind sie quer durch die Landkreise Aschaffenburg und Miltenberg verteilt. Während die Stadt Aschaffenburg knapp 72.000 Einwohner (Stand 2022) hat, wohnen in unseren Mini-Orten gerade mal zwischen 50 und 100 Menschen. Aber was findet man an diesen kleinen Fleckchen Erde? Einen Bäcker oder gar Supermarkt meist nicht. Dafür aber eine Menge Geschichten und „Ortswahrzeichen“. PrimaSonntag hat einen Abstecher in vier von ihnen gemacht.
Steiger (Bessenbach):
Zwischen Keilberg und Laufach liegt, mit 83 Einwohnern, das kleine Steiger. Durch die Lage an einer Steigung und einem Weiler machten bereits ab dem 17. Jahrhundert Handelskarren Rast im Örtchen. Die Bewirtung für Gäste zieht sich bis heute durch die Geschichte von Steiger. Seit 1949 betreibt die Familie Gerber- jetzt in dritter Generation - den Gasthof „Spessartruh“. Hier gibt es regionale Gerichte, deftige Hausmannskost und einen Biergarten mit Ausblick über die Landschaft. Der Chef schlachtet hier noch selbst und verkauft Presssack und Schlachtplatte. „Wir sind die einzige Wirtschaft hier. Früher gab es weiter oben noch eine Gaststätte, den Berghof, die hat mittlerweile aber leider schon zu“, erklärt uns Gerber. Mittlerweile ist aus dem Berghof eine Pferdepension geworden und von denen hat Steiger gleich drei. Hier leben wohl mehr Tiere als Menschen. Familie Gerber hat selbst Kühe, Gänse und Enten, die Nachbarn Schafe und Pferde. „Das Besondere hier ist die Ruhe“, scherzt Paul Gerber.
Angelsberg (Markt Mömbris):
„Kaum einer weiß, wo Angelsberg liegt“, erzählt Winfried Flaschenträger, ein waschechter Angelsberger und der Dorfälteste. Aktuell wohnen 64 Menschen in Angelsberg, dem kleinsten von 18 Ortsteilen des Marktes Mömbris. Einen richtigen Dorfplatz gibt es nicht, Straßennamen sind nicht nötig und für den Bäcker muss man ins benachbarte Gunzenbach - bei 18 Wohnhäusern auch kein Wunder. „Die Kinder sind erstmal alle weggezogen. Jetzt kommen sie aber wieder.“ So auch Anna Schäfer, Winfried Flaschenträgers Enkelin. „Wir sind zur Unterstützung meiner Großeltern wieder hergezogen und weil es einfach schön hier ist. Ich bin hier zehn Jahre aufgewachsen und dann haben wir uns letztes Jahr dazu entschieden, wieder hierherzuziehen und die Wohnung zu renovieren. Verändert hat sich nicht viel. „Man kennt sich hier einfach, jeder hilft jedem. Das ist Gang und Gebe“, sagt Anna Schäfer. Auch während der Pandemie versuchte man, im Rahmen des Möglichen, die Gemeinschaft beisammen zu halten, traf sich sonntags auf dem alten Betriebshof, um Musik zu machen, Kuchen und Plätzchen zu essen. „Das Schöne hier ist einfach die Umgebung, vor allem, wenn alles blüht und natürlich die neuen Straßen, die hier gebaut wurden“, freut sich Winfried Flaschenträger.
Wildenstein (Markt Eschau):
Mitten im Spessart steht die Burg Wildenstein. Vor 1.000 Jahren ist sie von den Grafen Henneberg erbaut worden. „Man musste zum einen die Ländereien der Henneberger schützen, zum anderen waren die Lagen am Maintal schon alle besetzt“, erklärt Jürgen Jung, Geschäftsführer der Burgenlandschaft e.V. Die Burg Wildenstein entwickelte sich dann zur Schutzburg für das Kloster Himmelthal bei Rück. „Der Ort Wildenstein selbst dürfte im Schatten der Burg entstanden sein, als kleine Ortschaft und natürlich als praktische Wirtschaftslage:“ Jürgen Jung geht davon auch, dass die Bewohner auf der Burg gearbeitet und Dienste für die Burgherren erledigt haben. Im 16.Jahrhundert fielen Burg und Ort an das Kurfürstentum Mainz. Der letzte Bewohner verstarb 1689 - von da an verfiel die Anlage zu einer Ruine. 1997 dann die Wende, die „Burgfreunde Wildenstein e.V.“, bestehend aus Bürgern aus der Umgebung, wurden gegründet. Sie nahmen sich dem Verfall an und restaurieren seither die Burg, die künftig dem Ort wieder wirtschaftlich helfen soll, so wie es einst im Mittelalter war. „Sie ist natürlich die Hauptattraktion des Ortes. Durch den kleinen Tourismus kann hier in den nächsten Jahren einiges entstehen“, so Jung. Mittlerweile leben rund 60 Menschen in Wildenstein.
Klotzenhof (Markt Großheubach):
Mit 62 Einwohnern ist Klotzenhof im Markt Großheubach eines unserer kleinsten Örtchen. Dieses hat bereits ein bewegtes Leben hinter sich, wie Matthias Klotz, Vorsitzender des Heimatkundlichen Treffs Großheubach, bestätigt. Klotzenhof wurde wohl Ende des 13. Jahrhunderts gegründet und war ein sogenannter Weiler - eine Siedlung, die kleiner als ein Dorf ist. Bis zur Auflösung 1601 gehörte Klotzenhof zum Kloster Himmeltal und wurde von Mainz an den Jesuitenorden übergeben. Letztendlich ging der Besitz des Weilers Klotzenhof an Generalmajor von Cloß über. Er hatte drei Höfe errichtet. Die bekannte Kapelle entstammt auch aus dieser Zeit. Eine weitaus tragischere Geschichte hat das ehemalige Jugendgästehaus Klotzenhof. „Es wurde während des zweiten Weltkriegs erbaut und war ursprünglich eine Segelfliegerschule der NSDAP“, erklärt Klotz. Nach dem Krieg kamen zunächst Heimatvertriebene im Haus unter, bis dann Ende der 40er Jahre die AWO ein Jugendgästehaus daraus machte. Ende letzten Jahres wurde dann aus dem Jugendgästehaus Klotzenhof „Der Waldhof“. Die beiden Architekten Jürgen Kubitza und Stephen Knapp wollten das Gebäude wieder herrichten. Aber seit März 2024 ist das ehemalige Jugendgästehaus eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige ausländische Bewohner - das ist der Plan für die nächsten zwei Jahre.