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"Wir wollen doch nur Leben retten!"

26.03.2023, 06:30 Uhr in PrimaSonntag
KW12 Rettungskraefte 3

BAYER. UNTERMAIN (mz). Es waren erschreckende Bilder direkt zu Jahresbeginn - hemmungslose Gewaltexzesse gegen Rettungskräfte in Berlin. Erst vergangenes Wochenende kam es zu einem ähnlichen Vorfall in Wiesbaden: Sanitäter wurden von dem eigenen Patienten und seinen Mitstreitern mit Kopfstößen und Tritten angegriffen, sie mussten sich im Einsatzwagen einsperren und auf Hilfe der Polizei warten. Die Empörung ist bundesweit groß - doch wirklich überraschend dürfte es für die Opfer nicht gewesen sein. Denn solche furchtbare Taten sind längst keine Einzelfälle mehr - auch in unserer Region steigen die Zahlen.

Sie werden beleidigt, bespuckt oder geschlagen, obwohl sie arbeiten, ums uns zu helfen. Für Rettungssanitäter werden Einsätze immer häufiger zur Tortur. Denn Respektlosigkeiten und Gewalt gehören für sie mittlerweile zum Alltag. Dies zeigen auch die Zahlen des Polizeipräsidiums Unterfranken. Auch wenn diese für das Jahr 2022 noch nicht komplett vorliegen, zeigt sich bereits eine Tendenz - und die geht nach oben. Während die Angriffe auf Feuerwehrleute im vergangenen Jahr zurückgingen, stieg die Zahl der Angriffe auf andere Rettungsdienste an. Zu den häufigsten Delikten zählen demnach Beleidigungen, tätliche Angriffe sowie Wiederstand gegen Vollstreckungsbeamte.

KW12 Rettungskraefte 3
Yvonne Nebel, Leiterin des Malteser Rettungsdienstes A'burg

Verbale Ausschreitungen
nicht mehr zählbar
Diese Erfahrung musste auch Yvonne Nebel machen, sie ist Leiterin des Malteser Rettungsdienstes in Aschaffenburg. In ihrem Team gab es Vorfälle, die auch zur Anzeige gebracht wurden. „Es gab sexuelle Belästigungen, einen tätlichen Angriff durch einen Patienten, mehrfache Beschädigungen im Innenraum des Rettungswagens.“ Hinzu kommen die vielfachen verbalen Ausschreitungen. „Unser Personal ist in deeskalierender Sprache geschult.“ Geholfen hat es bisher wenig - die Beleidigungen seien mittlerweile nicht mehr zählbar. Für Nebel liegt der Grund für diese Eskalation bei der Überforderung, Unsicherheit und Hilflosigkeit der Menschen. Auch die lange Suche nach einem Termin beim Facharzt befeuere den Frust. „Das ist nachvollziehbar, jedoch völlig falsch adressiert und frustriert wiederum unsere Mitarbeiter. Wir sind ausgebildet, um Leben zu retten und nicht das marode Gesundheitssystem.“

Strengere Gesetze
helfen nicht
So sieht das auch der Aschaffenburger Psychologe Jürgen Junker. Die Hemmschwelle, etwa durch Alkohol, sei in solchen Situationen massiv abgesunken. „Meist sind es ein oder zwei Leute, die anfangen. Leider gibt es in einer Gruppe dann auch sehr viele Nachahmer, die das im schlimmsten Fall auch noch lustig finden. In diesen Gruppenkonstellationen gibt es dann häufig eine Idealisierung und Verherrlichung von extremen Verhaltensweisen. Die Rettungskräfte stoßen in soziale Konstellationen hinein, in denen eh schon Spannungen bestehen.“ Die Täter griffen dann meist auf primitive Strukturen zurück. Doch was tun gegen die Gewalt? Die systematische Nachbearbeitung jedes Einsatzes sei gut und hilfreich. Strengere Gesetze helfen laut Junker dagegen nicht, dem Problem Herr zu werden. „Wenn die Leute schon stark alkoholisiert sind, werden sie nicht durch strenge Gesetze abgeschreckt. Es braucht stattdessen einfach eine positivere Einstellung zu Hilfsberufen.“ Junker wünscht sich mehr praktisches Wissen in der Gesellschaft, etwa auch wie man als Unbeteiligter dazu beitragen kann, dass ein Rettungseinsatz funktioniert - schnell, erfolgreich und ohne Gewalt.