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"Wir sind nicht nur für Sex da!"

24.09.2023, 06:00 Uhr in PrimaSonntag
KW38 Dolce Vita Titel

ASCHAFFENBURG (mg). Es ist das älteste Gewerbe der Welt, das auf ganz unterschiedliche Weisen praktiziert wird: Prostitution hat für viele Menschen noch heute ein gewisses Stigma, das auch aus den Köpfen nicht verschwinden wird. Aber eben auch verbunden mit Neugierde und Faszination. Eva B. betreibt ihre Begegnungsstätte in Aschaffenburg-Damm schon seit einigen Jahrzehnten. Unser Reporter Matthias Goldhammer hat dem „Dolce Vita“ mal einen Besuch abgestattet und mit der Betreiberin über ihr Etablissement, die Veränderungen im Laufe der Zeit und die Zukunft der Branche gesprochen…

Eva kam als Tänzerin in den 80ern durch einen Freund nach Aschaffenburg. Hier fand sie dann ihre Heimat: „Ich habe schnell Freunde gefunden und mich in die Stadt verliebt.“ Diese Freunde sind noch heute an ihrer Seite: „Sie haben mich durch manche Widrigkeiten getragen.“ Sie tanzte damals in Siegen im Cabaret Tabu und im Aschaffenburger „Casino de Paris“, mit der Prostitution fing sie erst später an: „Ich habe mit einer Kollegin in einer WG gelebt - in dem Haus hat eine Frau gewohnt, die den Job gemacht hat.“ Über ihre gemeinsame Leidenschaft für Hunde sind die beiden ins Gespräch gekommen. „Ich wurde neugierig und dann habe ich gesagt: ‚Das mach ich auch! ‘“ Ihr Antrieb war es schon immer, Menschen glücklich zu machen. Dadurch hatte sie Erfolgserlebnisse und gleichzeitig Spaß. In ihrer Eigentumswohnung startete Eva mit einer Kollegin ihr eigenes Geschäft. „Es lief direkt ganz gut.“ Aus der Not heraus, musste sie 1990 umziehen: „Die Nachbarn wussten das alle und wir hatten null Probleme. Aber irgendwann zog dann eine neue Dame ein...“ Die neue Nachbarin war nicht so einverstanden mit dem Treiben in der Wohnung gegenüber: „Sie hat sämtliche Bewohner gegen uns mobil gemacht. Sie wusste, dass man die Miete um 30 Prozent kürzen kann, wenn in der Wohnanlage der Prostitution nachgegangen wird.“ Damals war Prostitution noch sittenwidrig - 2002 trat dann das Prostitutionsgesetz in Kraft. So musste sich Eva eine neue Bleibe suchen und es kam zum „Dolce Vita“ in Damm.

Viele „Freunde des Hauses“
In der Begegnungsstätte herrschen Regeln und Ordnung. Eva selbst kümmert sich um Mieterinnen, den Papierkram und das Wohlbefinden aller. Die Mädchen mieten sich für einen bestimmten Zeitraum in die Wohnungen ein. Von den Frauen wird Eva liebevoll „PuMu“ genannt, die Kurzform für Puffmutter. „Ich schreibe auch noch mit wirklich vielen, die schon vor Jahren aufgehört haben.“ Auch viele der Gäste sind schon langjährige Besucher, sogenannte „Freunde des Hauses“. Es kommt aber nicht jeder rein ins „Dolce Vita“. „Wenn da einer bombenvoll an der Tür auftaucht, lasse ich ihn natürlich nicht ins Haus.“ Normalerweise empfängt Eva die Herren an der Tür, bittet sie rein und präsentiert die Frauen. Wenn die Gäste das Haus verlassen, fragt Eva immer nochmal nach: „Sind alle Verspannungen/Versteifungen beseitigt?“ Eine ihrer liebsten Geschichten ist schon einige Jahre her: „Ich hatte ein Mädel da, die meinte, sie wäre zu dick. Sie dachte, es hilft ihr, wenn sie morgens literweise Wasser mit Zitronensaft trinkt.“ Nachdem ein Mann mit ihr wieder aus dem Zimmer kam fragte Eva wie üblich nach dem Wohlbefinden. Zu ihrer Überraschung sagte der Gast: „Ich war ja wirklich schon ein paar Mal da, aber dass ihr ein Wasserbett habt, ist mir noch nie aufgefallen. Das hat ja gegluckert!“


Veränderungen
durch die Pandemie
Während der Corona-Hochphase kam viel Bürokratie auf Eva zu: „Ich musste von jedem die Daten aufnehmen - da sind die meisten schon weggerannt.“ Für die Zusammenarbeit mit den Behörden hat sie aber nur lobende Worte: „Ob Ordnungsamt oder Polizei. Wir sind super informiert und fair behandelt worden.“ In dieser Zeit sind dem „Dolce Vita“ viele Kunden verlorengegangen, aber die Kosten liefen natürlich weiter. Die Preise haben sich im Dämmer Freudenhaus trotzdem nicht verändert. „Einmal hat einer gefragt, ob wir nicht runtergehen mit den Preisen - weil ja alles so teuer wird. Und dann hat er noch gesagt, der Sprit um herzufahren, wäre ja teurer als die Nummer!“ Generell ist die Anzahl der Besucher weniger geworden. „Teilweise habe ich dann Gäste in den Todesanzeigen entdeckt oder sie haben angerufen und gesagt, dass Sie jetzt eine Frau gefunden haben.“

Mutti für alle
Nach der Pandemie sind viele Frauen neu in die Branche eingestiegen, auch vor allem aus einem Grund. „Früher war man nicht so finanziell unter Druck. Viele sind nur auf das Geld aus, machen das aus der Not.“ Doch diese Frauen sucht Eva eigentlich nicht für ihr Haus, sie will Mädchen, die „Freude am Beruf haben“ - denn ihr Ziel ist es vor allem, andere Menschen glücklich zu machen. „Wir haben ja nicht nur die üblichen Gäste, wir haben auch Patienten.“ Damit meint sie Männer, die nicht nur auf das Eine aus sind, sondern Redebedarf haben oder emotionale Unterstützung brauchen. „Wir sind hier nicht nur zum Sex da, wir sind richtige Seelsorger. Wenn du das mit Herzblut machst, ist das anstrengender als alles andere!“ Zu diesen Frauen gehört auch Angelina. Sie ist durch eine Freundin in die Branche reingerutscht. „Es ist mehr Therapie, was wir machen. In den letzten Jahren sind viele depressiv geworden. Wenn es den Männern schlecht geht, geben wir ihnen Tipps und sprechen mit ihnen.“ Für Eva hat sie nur lobende Worte: „Sie ist für die Mädchen die Mutti für alles. Wenn du Kopfschmerzen hast, besorgt sie dir eine Tablette. Bei Unterleibsschmerzen macht sie einen Termin beim Frauenarzt aus. Sie kümmert sich um uns.“


(K)ein Ende in Sicht
Durch das Internet und die fortschreitenden Technologien hat sich vieles in der Branche verändert. „Die Leute müssen mehr auf ihr Geld achten.“ Trotzdem sieht Eva kein Ende des „Dolce Vitas“: „Es wird immer Leute geben, die hierherkommen, ein Gespräch oder Nähe suchen.“ Im nächsten Jahr will Eva als Betreiberin aufhören - wie das „Dolce Vita“ dann weiterläuft, hat sie noch nicht entschieden. Wünschen würde sie sich, dass die Menschen toleranter werden. „Die meisten Prostituierten sind ganz feinfühlige Menschen. Ich denke, mittlerweile hat zwar schon ein Wandel stattgefunden, aber viele schieben die Menschen einfach in eine Schublade und irgendwann ist man auch müde, sich zu erklären. Niemand in dieser Branche muss sich schämen. Hure ist ein Beruf, kein Schimpfwort!“

KW38 Dolce Vita 1
Eva mit ihren Mädels Angelina (li.) und Estefania (re.)
Dolce Vita
PrimaSonntag-Reporter Matthias Goldhammer bei seinem Besuch
KW38 Dolce Vita 4
Die Räumlichkeiten im Dolce Vita
KW38 Dolce Vita 3