"Wir hatten hier Kernwaffen im Keller"
ASCHAFFENBURG/KALIFORNIEN (mg). Nach 47 Jahren verabschiedeten sich die amerikanischen Truppen im Jahr 1992 aus Aschaffenburg. Über 200.000 US-Bürger lebten in dieser Zeit hier und sorgten in der Stadt für einen großen Umbruch in Wirtschaft, Kultur und Infrastruktur. Auch unser Funkhaus hatte damals eine andere Funktion. Es war das Hauptquartier der Smith Kaserne. Jeff Marshall aus Kalifornien verbrachte fast zwei Jahre lang jeden Tag hier - und arbeitete dabei mit ziemlich gefährlichen Materialien…
„Da waren die richtigen Waffen gelagert - die Großen“, erzählt der ehemalige US-Soldat Jeff Marshall über den Keller des heutigen Funkhauses. Von 1972 bis '74 war er in Aschaffenburg stationiert und verbrachte den Großteil seiner Arbeitszeit unter der Erde. Er erklärt, dass es sich um „Atomic Demolition Munitions (ADM)“, sozusagen Atomminen handelte. „Einmal im Monat haben wir Wartungen durchgeführt: Wir haben die Dichtungen gewechselt und sichergestellt, dass keine Flüssigkeit irgendwo reingekommen ist.“ In Zwei-Mann-Teams arbeiteten die Soldaten an den Waffen, höchstens immer eine halbe Stunde aufgrund der Strahlung - denn Schutzkleidung gab es für Jeff und seine Kollegen nicht. Historikern zufolge lagerten ab den 60ern über 200 davon in der Bundesrepublik. Zum Einsatz kamen sie aber nie. Lange wurde die Existenz der Waffen auf deutschem Boden sogar verschleiert. „Zum Glück mussten wir sie nie benutzen“, äußert sich Jeff. Sein Job wäre es gewesen, mit den Bomben hinter die feindlichen Linien zu kommen und etwas in die Luft zu sprengen. Am Ende des Kalten Krieges verschwanden die ADMs wieder aus Deutschland und auch im Funkhaus sind heute keine radioaktiven Spuren mehr zu finden. Jeff verließ nach ca. 20 Monaten im Sommer '74 Aschaffenburg, so ganz vergessen konnte er unsere Region aber nie…
Ein „schönes Willkommen“
„Ich dachte, es war eine tolle Stadt. Einige Leute mochten uns zwar nicht, aber der Großteil der Menschen, vor allem die jungen, waren sehr nett. Ich wollte immer hierher zurückkehren“, erinnert sich der 71-Jährige als er sich Anfang Juli mit unserem Redakteur im Funkhaus unterhält. Am meisten genoss er die Zeit außerhalb der Basis. „Ich liebte es mit dem Auto die Region zu erkunden. Natürlich gingen wir auch oft aus, hatten Abendessen und tranken ein paar Bier.“ Dass sein alter Arbeitsplatz jetzt ein Radiosender ist überraschte den Kalifornier ganz schön, bei der Führung durchs Haus erzählte er zahlreiche Geschichten - von dem Geist des deutschen Soldaten, der über ihnen im Haus lebte, den zahlreichen Abenden im Pub „Franks“ und das erste Mal, als er in Aschaffenburg ankam: „Ich wusste eigentlich gar nichts über die Stadt. Ich kam nachts an, wir fuhren über die Mainbrücke und das Schloss war voll beleuchtet. Das war ein schönes ‚Willkommen. ‘“