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Unsere Ärzte sind am Limit!

16.10.2022, 06:30 Uhr in PrimaSonntag
KW41 Arzt 1

GROSSWALLSTADT/SULZBACH (jm). Gerade die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie wichtig unsere Ärzteschaft am Untermain ist. Dass unsere Retter allerdings am Ende ihrer Belastungsgrenze stehen, ist nur den wenigsten klar. PrimaSonntag hat mit dem Großwallstädter Arzt PD Dr. Jörg Petermann über den Alltag in seiner Praxis gesprochen. Er gibt eine beunruhigende Prognose für die Zukunft unseres Gesundheitssystems.

„Das Problem gibt es wahrscheinlich schon seit zwei bis drei Jahren“, berichtet Dr. Jörg Petermann. Seit 2009 leitet er seine Praxis für Unfall- und Gelenkchirurgie in Großwallstadt und ist seit über 20 Jahren der Mannschaftsarzt des TV Großwallstadt. „Es gibt seit Corona einfach immer weniger Fachkräfte, die im Gesundheitswesen arbeiten möchten. Die letzten Mitarbeiter schleppen sich durch, um den Praxis- und Klinikbetrieb aufrecht zu erhalten, aber auch die kommen unter der Belastung irgendwann an ihre Grenzen.“ Die Folge: Krankschreibungen und Kündigungen. In besonders schlimmen Wochen mussten Praxen sogar geschlossen werden, da viele Fachkräfte nicht mehr bereit sind, die Pflegesituation körperlich und psychisch zu tragen. „Es wird ja auch nicht besser, es wird sich alles nur verschlimmern!“ Das macht sich natürlich auch für die Patienten bemerkbar. Den Ärger der Kassenpatienten kann das Ehepaar durchaus verstehen. „Man muss bedenken, dass mein Mann als Chirurg ungefähr eine 22 Euro-Flatrate im Quartal pro Patient für eine ambulante Leistung bekommt“, erklärt Ehefrau Sabine Petermann, Geschäftsführerin des ambulanten OP-Zentrums und der Main-Medical-Clinic. „Wenn ein Patient beispielsweise wegen seiner Schulter kommt, dann aber vor Ort noch Beschwerden an der Hüfte hat, bekommen wir trotzdem nur die Schulter vergütet.“ Dies ist wirtschaftlich für die Ärzteschaft nicht zu handeln. „Man muss sich nicht wundern, dass immer weniger Menschen Arzt werden wollen“, kritisiert der 63-Jährige. „Es fehlt in Deutschland an einer angemessenen Vergütung und Respekt, es ist nicht verwunderlich, dass Ärzte und medizinische Fachkräfte ins Ausland abwandern.“

Ein fatales Signal
Auch in Sulzbach macht man sich Sorgen über die ärztliche Versorgung der Zukunft. Dort haben in der vergangenen Woche das Ärzte-Ehepaar Jürgen und Sun-Hee Strein ihre Praxis überraschend aufgegeben. Übergangsweise wird Ulrich Wünsch, Hausarzt in Rente und Inhaber der Praxis, übernehmen - allerdings nur bis Jahresende. „Seit Bekanntwerden gibt es nun vermehrt eine große Verunsicherung in weiten Teilen der Sulzbacher Bevölkerung“, berichtet Bürgermeister Martin Stock. Als fünfgrößte Kommune des Kreises Miltenberg gibt es nur noch zwei zusätzliche Arztpraxen. „Schon jetzt ist bekannt, dass beide unter den aktuellen Bedingungen keine weiteren Patienten aufnehmen können“, erklärt Stock. Die dortigen personellen Kapazitäten sind erschöpft. Martin Stock hofft nun, dass die zwei frei werdenden Halbarztsitze in Sulzbach verbleiben und neu besetzt werden. Diese Entscheidung obliegt allerdings der Kassenärztlichen Vereinigung. „Es wäre ein fatales Signal für die ländliche Bevölkerung unseres Kreises, sollten die Arztsitze nicht bei uns verbleiben.“ Dazu gebe es seit Jahren einen Trend zur Teilzeit und zur Anstellung. „Auch Ärzte wollen einen ausgewogenen Mix aus Arbeit und Privatleben“, erklärt Dr. Axel Heise, zweiter Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Aschaffenburg. Das heißt für die Versorgung: Die Arbeit, die früher zwei Ärzte gemacht haben, wird in Zukunft eher von drei erledigt werden.


Sulzbach

Ungewisse Zukunft

In der Praxis in Großwallstadt ist man seit Jahren auf der Suche nach einer dauerhaften Unterstützung. „Vielleicht ein junger Arzt, der sich von alten Hasen noch etwas abschauen möchte und perspektivisch auch die Praxis übernehmen könnte“. Bisher allerdings erfolglos, vielen Kollegen ergeht es ebenso. Ein großes Problem liegt eindeutig im Nachwuchs, der nicht bereit sei, den notwendigen Stundenaufwand, 60 bis 70 Stunden wöchentlich, und die ständig wachsende Bürokratie hinzunehmen. Dadurch werden zukünftig noch weitere Arztpraxen geschlossen werden. „Dann steht der Kollaps für unser Gesundheitssystem bevor.“ Die Terminvergabe wird sich weiter verschlechtern, die Wartezeiten sich verlängern. Aktuell fehlt es in der Praxis in Großwallstadt vor allem an OP-Personal. „Es kann sein, dass wir ab Januar ambulantes Operieren einstellen müssen“, befürchtet Frau Petermann. Unsere Ärzte und auch die Patienten blicken in eine ungewisse Zukunft.

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