Stirbt unsere Jugendkultur aus?
BAYER. UNTERMAIN (ps). Der Aschaffenburger Kulturrat findet in seinem offenen Brief klare Worte für die aktuelle Situation: „Die Jugendkultur in Aschaffenburg ist nahezu verschwunden. Damit werden den Jugendlichen wichtige Weichenstellungen in ihrer kreativen und künstlerischen Entwicklung vorenthalten.“ Von etwa 150 öffentlichen Veranstaltungen im Jahr 2019 sei das Programm auf heute nur noch circa 60 geschrumpft. Was sagt die Stadt Aschaffenburg und wie sieht es in anderen Kommunen aus?
Die Hauptschuld an dem drastisch verkleinerten Angebot für Jugendliche trage der Stadtrat. Dieser habe versäumt, die dringend benötigte Jugendkulturarbeit zu fördern. Institutionen wie das JuZ in der Alexandrastraße oder die Katakombe im Martinushaus seien geschlossen, das Kulturangebot des Jugendkulturzentrums (JUKUZ) stark reduziert. „Der Stadtrat und die Fraktionen müssen sich kümmern und die nötigen finanziellen Ressourcen bereitstellen. Die Mitarbeitenden im JUKUZ leisten großartige Arbeit trotz personeller Unterbesetzung, aber ohne strukturelle Unterstützung der Stadt droht die Jugendkultur vollständig zu verschwinden“, heißt es in dem offenen Brief des Kulturrats.
Stadt rechtfertigt sich
„Wir können die Ausführungen des Kulturrats nicht nachvollziehen. Der Haushalt des JUKUZ wächst jährlich. Das JUKUZ ist finanziell auch im Hinblick auf die Haushaltslage gut ausgestattet“, verkündet die Stadt Aschaffenburg auf PrimaSonntag-Nachfrage. Im offenen Brief wird von Seiten des Kulturrats ebenfalls gefordert, dass die Stelle zur Leitung des JUKUZ umgehend besetzt werden soll. „Die Stelle wurde aktuell noch einmal verändert ausgeschrieben. Die Ausschreibung erfolgte sehr breit auch auf den gängigen kostenpflichtigen Jobsuchmaschinen und auf Social Media. Im Übrigen sprechen wir geeignete Netzwerkpartner direkt an“, so die Stadt. „Neben vielen weiteren musikbezogenen Angeboten finden Konzerte statt, die das JUKUZ zusammen mit jungen Künstlern organisiert und durchführt. Daneben gibt es seit August 2024 regelmäßig den Open Jam, ein Angebot für Musiker, die gemeinsam musizieren.“ Ab 2025 solle es auch wieder eine Jugenddisco im JUKUZ und ein Musicalprojekt in den Sommerferien geben. Aktuell würden im Rahmen des Fachcontrollings die Angebote des JUKUZ auf den Prüfstand gestellt.
„Unsere Arbeit ist unverzichtbar“
Philip Küpper ist Sozialpädagoge und arbeitet seit sieben Jahren als Leiter der offenen und mobilen Jugendarbeit in Großostheim. „Der Kern unserer Arbeit ist der offene Jugendtreff. Wir sind das größte Jugendzentrum im Landkreis und machen auch mobile Jugendarbeit, fahren also in die Ortsteile Pflaumheim, Ringheim und Wenigumstadt“, erklärt er. „2019 hatten wir noch einen Tagesdurchschnitt von 35 Besuchern, das ist seit Corona nie wieder so gewesen. Allgemein kann man schon sagen, dass unser offenes Angebot vor der Pandemie mehr genutzt wurde als heute.“ Warum Jugendarbeit wichtig ist, weiß der Sozialpädagoge. „Es gibt ein Recht darauf, dass Jugendliche dabei unterstützt werden, zu einer selbstständigen Persönlichkeit heranzuwachsen. Wenn Jugendliche zu selbstbewussten, gesellschaftsfähigen, konfliktfähigen und kreativen Menschen werden sollen, ist unsere Arbeit unverzichtbar“, stellt Philip Küpper klar. Auch Ralf Diener, Leiter des Jugend- und Familienzentrums und Jugendbeauftragter in Erlenbach, betont die Bedeutung dieser Arbeit. „Schule ist ein Pflichtprogramm, zuhause sind die Eltern. Wo sollen die Jugendlichen sich sonst austesten, wo sollen sie sonst lernen, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden?“, fragt er. Ob der Kulturrat und die Stadt Aschaffenburg auf einen Nenner kommen, bleibt jedoch erstmal offen.
Das sagen unsere Leser:
Jeanette Baumbach aus Aschaffenburg: „Wir waren früher gerne im JUKUZ und da gab es ja viele Veranstaltungen oder Mal-Tage, wo wir gemalt haben oder Fotografien gemacht und selbst entwickelt haben. Früher gab es Hip-Hop-Challenges, da sind auch ein paar aus Amerika gekommen und das war richtig toll. Das Cave gab es ja früher, da sind wir öfters hin zum Treffen, ins Gulli…Also heute hat sich vieles verlaufen, viele sitzen nur vor dem Computer, aber auch die Älteren. Das finde ich schade. Es müsste für jedes Alter mehr Angebote geben.“
Sophia Halmen aus Haibach (Musikerin, Kunstschaffende): „Das Kulturangebot ist gerade die letzten Jahre abgeflacht. Es hieß ja auch von unserem Oberbürgermeister Herzing, dass die Jugend nicht mehr so viel Lust auf Party, sondern eher andere Bedürfnisse hat. Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben kann. Ich glaube das allerwichtigste ist, mit der Jugend zu sprechen und zu fragen: Was braucht ihr denn überhaupt? Und natürlich brauchen wir auch Leute, die das dann organisieren und planen. Es fehlt an kompetenten Menschen, die Lust haben, die junge Musikbranche hier auch wieder voranzutreiben.“
Julia Weidenweber aus Aschaffenburg: „Volksfest, Tsukahara-Festival und Kommz - da bin ich früher immer hingegangen, oder in Bars wie Dominos oder das Gulli. Ich kann mir schon vorstellen, dass es weniger wird, weil es ist ja so eine allgemeine Bewegung, dass die Kultur weniger finanziert wird.“
Felix Romanrus aus Aschaffenburg: „Im JUKUZ war ich lange Zeit gar nicht, muss ich ehrlich sagen. Aber es wird auch leider nichts mehr angeboten. Vom Gefühl her nimmt das Angebot ab und da sollte man ein bisschen mehr investieren. Ich denke, wir haben Kultur genug in Aschaffenburg und viele, die auch Lust darauf haben. Diese Leute erkennen, unterstützen und ihnen einen Bereich geben, das ist ein ganz großes Thema, das die Stadt angehen sollte.“
Kerstin Günther aus Aschaffenburg: „Es ist sehr bedauerlich aktuell, dass viele Jugendeinrichtungen wie die Katakombe schließen. Hier im JuZ gibt es Angebote wie den offenen Treff in der früheren Form auch nicht mehr. Für mich ist das Wichtigste, dass es Anlaufstellen für junge Menschen gibt, wo sie sich hinwenden können und Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um sich auszuleben. Wir vom Stadtjugendring und Radio Klangbrett wollen jungen Menschen zum Beispiel auf dem Fest für Vielfalt eine Plattform geben.“
Mame Diore Pene aus Damm: „Dadurch, dass alles um 20 Uhr zumacht und es nicht so viel Jugendangebote gibt, schaut jeder, wie er sich selbst beschäftigt. Dann gibt es die, die zusammen trinken, die alleine zuhause sind oder am Wochenende aus Aschaffenburg wegfahren, um etwas zu erleben, weil sie nicht das Gefühl haben, dass es hier etwas für sie gibt.“
Leon Baier aus Obernau: „Wenn Du früher durch die Stadt gelaufen bist, hast Du immer irgendwo Plakate mit Aktionen gesehen oder Werbeanzeigen. Auch über Klangbrett hat man immer erfahren, was in Aschaffenburg los ist und es gab die Katakombe. Ich wüsste nicht auf Anhieb, wo ich heute einen offenen Jugendtreff finde.“