„Sie sprechen aber gut Deutsch“

BAYER.UNTERMAIN (de/ld). Deutschland ist für viele Menschen ein Ort der Hoffnung - ein Land, in dem man sich eine Zukunft aufbauen kann. Doch was bedeutet es hier heimisch zu sein? Und wann wird man als Teil der Gesellschaft akzeptiert? PrimaSonntag hat mit vier Menschen aus der Region gesprochen. Vier Geschichten, die zeigen, wie Migration Deutschland und unsere Region geprägt hat - und wie unterschiedlich die Erfahrung sein kann.
Ünsal Çiçek, gebürtiger Stockstädter, Eltern aus der Türkei
„Mit Türken will ich nichts am Hut haben“
Ünsal Çiçek ist in Deutschland geboren. Er hat hier den Kindergarten besucht, ist hier zur Schule gegangen, hat eine Ausbildung gemacht und fast 40 Jahre lang gearbeitet. „Ich bin euer Landsmann“, sagt er. Und trotzdem hat er sein ganzes Leben lang gespürt, dass ihn manche nicht als Teil dieses Landes sehen. Sein Vater kam 1966 aus der Türkei, angelockt von der Hoffnung auf ein besseres Leben - für sich und seine Familie. Ünsal wuchs zwischen drei Kulturen auf: der türkischen, der mazedonischen und der deutschen. Seine Kindheit war geprägt von schönen Erinnerungen, aber auch von schmerzhaften Erfahrungen. Schon als kleiner Junge bekam er zu spüren, dass er nicht „dazugehörte“. „Wir haben in Stockstadt gelebt, die deutschen Buben sind mit ihren Mofas in unsere Straße gefahren und haben etwas gegen Ausländer gerufen. Ich hatte als kleiner Junge natürlich richtig Angst.“ Auch in seiner Jugend wurde ihm das immer wieder vor Augen geführt. In der Disco standen seine türkischen Freunde oft vor verschlossenen Türen, während er mit seinen deutschen Freunden einfach hineingehen konnte. „Natürlich wurde nie gesagt: ‚Weil ihr Türken seid‘, aber man hat es schon verstanden - ohne Worte.“ Und dann waren da die Momente, die besonders wehtaten. „Früher, wenn ich ein Mädchen kennengelernt habe und sie nach meinem Namen gefragt hat, dann kam oft: ‚Was ist das denn für ein komischer Name? ‘ Und wenn ich gesagt habe, dass er türkisch ist, dann hieß es: ‚Nein, also mit Türken will ich nichts am Hut haben. Leider ist es so, dass man diesen Alltagsrassismus momentan jeden Tag erlebt. Es ist gerade sehr extrem.“ Manchmal sind es kleine Bemerkungen. „Ah, Sie sprechen aber gut Deutsch.“ Manchmal sind es offene Anfeindungen. Für ihn ist aber das Schlimmste: Wenn er angegriffen wird, trifft es nicht nur ihn. „In dem Moment, in dem ich angegriffen werde, werden auch gleichzeitig meine Frau und meine Kinder angegriffen.“ Ünsal liebt seine türkischen Wurzeln, aber seine Heimat ist Deutschland. Nach jedem Urlaub in der Türkei kommt er gerne zurück: „Wir waren jetzt auch wieder dort, aber waren dann doch froh, als wir wieder zu Hause waren - also in Deutschland. Und im heimischen Bett schlafen konnten.“
Misha Bender, gebürtiger Aschaffenburger, Eltern stammen aus Ungarn (heutiges Serbien)
Mit dem Zug und zwei Koffern nach Aschaffenburg
Die Eltern von Misha Bender lebten im ungarischen Teil des damaligen Jugoslawiens, das heute Serbien ist. Der Alltag war schwer. Der Vater Mihalj arbeitete zwar selbstständig in einer gut laufenden Spenglerei, doch es herrschte Materialmangel. Darum sah die Familie in ihrem Land keine Zukunft mehr und hoffte auf ein besseres Leben: „Deutschland war natürlich der Traum aller Einwanderer. Die Zeiten waren damals super in den 70er und 80er Jahren.“ Weiterhin wurden Gastarbeiter gesucht und so kam auch Mishas Familie 1971 mit dem Zug und zwei Koffern nach Deutschland. Der Vater arbeitete fortan bei einer Baufirma in Haibach, Mutter Anna begann bei einer Kleiderfabrik in Goldbach und blieb dort über 40 Jahre. Misha selbst kommt als drittes Kind in Aschaffenburg zur Welt, wird hier getauft und geht zur Schule: „Wir hatten eine wahnsinnig tolle Kindheit, muss ich sagen. Ich war als Kind nie Rassismus ausgesetzt, für uns waren alle Menschen gleich.“ Während des Balkankriegs in den 1990er Jahren nahm Ungarn viele Flüchtlinge auf und das bekamen auch die Verwandten von Misha Bender zu spüren. Die Situation im Land veränderte sich allmählich, die Gewaltbereitschaft einiger Kriegsflüchtlinge stieg, es kam zu Straftaten und viele Ungarn fühlen sich nicht mehr sicher. Mit diesem Blick auf die Geschichte erklärt sich Misha Bender auch die Ablehnung gegen Migranten im heutigen Ungarn. Für Deutschland stellt er fest: „Ich glaube, dass wir in einer Situation sind, die schwer lösbar ist. Wir haben es nicht geschafft, die Zuwanderung in den letzten Jahren unter Kontrolle zu halten. Ich war immer für Vielfalt. Das Problem ist einfach, dass sich zu viele Menschen, die eigentlich nicht einreisen hätten dürfen, in Deutschland aufhalten. Und das ist auch ein Problem für die Migranten, die fleißig sind und sich hier integrieren.“
Achmed Almajoul, gebürtiger Syrer, lebt in Laufach
„Ich bin Deutscher geworden!“
2013 nahm Achmed Almajoul in Damaskus an Demonstrationen gegen den Diktator Assad teil. Die Demonstranten forderten Freiheit, bis die ersten Schüsse fielen. Es gab Tote, Achmed wurde verwundet, konnte allerdings vor der Polizei fliehen und damit einer Verhaftung entgehen. Mit seinen zwei Brüdern machte er sich zu Fuß auf den Weg. Sie liefen nachts über die Wälder und Berge der Türkei, von Griechenland über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich. Sie hatten ein Ziel vor Augen: Deutschland. Dort wollten sie ein sicheres Leben führen. Inzwischen war es 2014. Achmed Almajoul wurde gut in Deutschland aufgenommen. Die Sprache zu lernen, fiel ihm anfangs schwer und bei einem Praktikum hatte er mit Vorurteilen zu kämpfen. Doch er fand Arbeit. Zunächst war er als Fahrer tätig, dann in der Produktion. Mittlerweile ist er Bauleiter bei einer Tiefbaufirma in Erlensee und hat die deutsche Staatsbürgerschaft: „Man muss die Gesetze und die Regierung akzeptieren. Nicht so wie die anderen, die für Probleme sorgen.“ Von Anschlägen wie in Magdeburg oder Aschaffenburg ist er schockiert. Vor einem Rechtsruck hat er keine Angst, da er Forderungen wie „Ausländer raus“ für nicht umsetzbar hält: „Überall in Produktionsfirmen und auf Baustellen in ganz Deutschland arbeiten Ausländer.“ Er mutmaßt, dass es der Wirtschaft ohne Migranten schlecht gehen würde. Nach dem Sturz von Assad will er in den kommenden Monaten seine Familie in Syrien besuchen, langfristig aber in Deutschland bleiben: „Ich bin Deutscher geworden.“

Francesco Percacciuolo, gebürtiger Stockstädter, Eltern aus Kalabrien, Italien
„In Italien der Deutsche – in Deutschland der Italiener“
Der verlockende Duft frisch gebackener Pizza, das sanfte Klirren der Gläser und das ansteckende Lachen der Gäste. In der gemütlichen Pizzeria von Franci fühlt man sich sofort wohl. Doch hinter dem warmen Ambiente steckt eine Familiengeschichte, geprägt von harter Arbeit und einer Heimat zwischen zwei Welten. Francis Eltern kamen als Kinder aus Kalabrien nach Deutschland, einer Region, in der Armut zum Alltag gehört hat. Sein Vater kam mit elf, seine Mutter mit sechzehn Jahren. In Deutschland haben sie sich kennengelernt, besuchten die Schule und kämpften mit der Sprache. Mit 20 Jahren haben sie geheiratet und bekamen zwei Kinder - Franci und seine Schwester Mariella. Obwohl Franci in Deutschland geboren wurde, ist er mit der italienischen Kultur aufgewachsen. „Zu Hause war es wie in Italien - wir haben so gegessen und auch so gelebt“, erinnert er sich. Doch egal, wo er war, er war immer „der Andere“: „In Italien war ich der Deutsche, in Deutschland der Italiener. Man ist irgendwie nirgends ganz zu Hause.“ Aber was bedeutet Heimat für Franci? „Wenn ich in Italien bei meinen Eltern am Strand bin, fühle ich mich angekommen. Aber nach ein paar Wochen will ich wieder nach Hause - und das ist hier.“ Auch sein Onkel kam 1971 nach Deutschland. „Ich wollte eigentlich nur Urlaub machen und dann hab ich meine Frau hier kennengelernt.“, sagte er. „Meine Frau, meine Kinder und meine Enkel sind hier - meine Heimat ist hier. Und ich habe es nie bereut, dass ich nach Deutschland gekommen bin.“ Diskriminierung? Anfeindungen? Franci selbst hat das nur selten erlebt. „Meine türkischen Freunde hatten damit deutlich mehr zu kämpfen. Doch es gibt eine Ausnahme - einen Mann, der ihn seit seiner Jugend beleidigt. „Bis heute, wenn ich an ihm vorbeifahre, beleidigt er mich noch und zeigt mir den Mittelfinger.“ Doch Franci lässt sich davon nicht beirren. Seine Familie hat sich mit harter Arbeit ihren Platz geschaffen. „Das, was du gibst, bekommst du zurück. Ich wurde mit Liebe und Respekt erzogen - und das gebe ich weiter.“ Und die Pizzeria seiner Mutter ist mehr als nur ein Lokal. Sie ist das Symbol für einen Traum, den sie sich nach harter Arbeit erfüllt hat. Und Franci sorgt dafür, dass dieser Traum weiterlebt.