Belgrad: Ringen in der Königsklasse
HÖSBACH/BELGRAD/MÖMBRIS-KÖNIGSHOFEN (mg/jm). In der serbischen Hauptstadt Belgrad trifft sich zurzeit die internationale Ringer-Elite auf der Matte. Hier finden vom 16. bis zum 24. September die Weltmeisterschaften der Männer und Frauen statt. Doch bei dem Turnier geht es nicht nur um Medaillen, sondern auch um ein Ticket für Olympia. Mit Tim Müller tritt ein Hösbacher in der wohl schwierigsten Gewichtsklasse an. Gleichzeitig hat ein Verein unweit von seinem Heimatort eine Herkulesaufgabe von ähnlichem Maß vor der Brust…
„Die Vorfreude ist immens. Ich bin richtig heiß und freue mich, auf die Matte zu gehen“, so Tim Müller über sein bevorstehendes Debüt bei einer internationalen Seniorenmeisterschaft. Der 32-Jährige wurde aufgrund von starken Leistungen in der Bundesliga und der Gold-Medaille bei den deutschen Meisterschaften nach jahrelanger internationaler Abstinenz wieder in den Nationalkader berufen. Freistil-Bundestrainer Jürgen Scheibe aus Aschaffenburg kennt Müller schon seit dem Nachwuchsbereich, ihr Verhältnis galt jahrelang als angespannt - nach einer Aussprache zwischen den beiden kam es endlich zur Nominierung. „Die letzten sechs Jahre hat er Liga gerungen, aber nicht bei deutschen und internationalen Meisterschaften. Dieses Jahr war er wieder bei der deutschen dabei und hat sich souverän durchgesetzt. Er ist aktuell der Beste in der Gewichtsklasse“, äußert sich Scheibe über seinen Schützling. Müller tritt in der Klasse bis 74 Kilogramm an. Wie er selbst sagt, „in der Königsklasse“. Mehrere Weltmeister und hochetablierte Ringer warten hier auf den Hösbacher: „Ich weiß, dass es die bestbesetze Klasse ist. Da wird’s schwer, vorne reinzukommen. Ich geh rein, kämpfe sechs Minuten und schaue was dabei raus kommt.“
Olympia-Traum lebt
Vorbereitet hat er sich im Trainingslager in Georgien: „Die Georgier sind bekannt dafür, dass sie sehr hart trainieren. Von daher hatte ich die perfekten Voraussetzungen.“ Trotzdem geht der gelernte Maurer als Außenseiter ins Rennen - wie das gesamte deutsche Team laut Coach Scheibe: „Wir gehören nicht zu Favoriten. Im Freistil-Bereich haben wir in den letzten 20 Jahren mit Horst Lehr nur eine WM-Medaille gewonnen.“ Lehr, den Scheibe als wohl aktuell erfolgreichsten deutschen Ringer bezeichnet, wird durch Niklas Stechele in der 57-Kilo-Klasse vertreten. Der amtierende U23-Weltmeister ringt für die Warriors aus Kleinostheim. Der Bundestrainer geht trotz der starken Konkurrenz optimistisch ins Turnier: „Wenn keiner mit uns rechnet, kann der ein oder andere vielleicht für eine Überraschung sorgen.“ Falls das gelingen sollte, wartet auf die Ringer nicht nur eine Medaille, sondern auch ein Ticket nach Paris im kommenden Jahr. Für Müller wäre die Olympiateilnahme das Größte: „Es ist ein riesen Traum von jedem Sportler. Gerade im Ringen ist es sehr schwer, einen Platz zu ergattern, weil die Teilnehmerzahl immens begrenzt ist - aber ich gebe mein Bestes!“ Müller geht die Sache entspannt an. Er will noch „ein paar Jahre Vollgas geben“, denn aktuell macht es ihm richtig Spaß und „wenns reicht, reichts - und wenn nicht, gibt’s im nächsten Olympiazyklus noch eine Chance in Los Angeles!“, lacht der sympathische Hösbacher abschließend. Jannis Zamanduridis, Sportdirektor des Deutschen Ringer-Bundes aus Krombach, hofft, dass die Teilnahme noch weitere positive Auswirkungen auf den Sport bei uns haben kann: „Es ist ein wichtiger Impuls für junge Leute. Wenn Ringer aus dem Aschaffenburger Leistungszentrum bei der WM dabei sind, können sich die jungen Athleten an ihnen orientieren.“
RWG vor Neustart
Aber die Ringer-Welt am Untermain ist momentan nicht überall so rosarot. Die RWG Mömbris-Königshofen musste ihre Oberliga-Mannschaft für die kommende Runde zurückziehen. „Viele Stammkräfte aus der ersten Mannschaft sind verletzt oder krank. Zusätzlich sind einige auch am Wochenende beruflich unterwegs“, erklärt Benjamin Hofmann, Vorsitzender des KSC Mömbris. „Somit wären die ersten drei Kämpfe schon schwierig zu planen gewesen. Ein eiskalter Nackenschlag für den Verein, der jahrelang in der ersten Bundesliga kämpfte und grandiose Ringer hervorbrachte. Die aktuell einsatzfähigen Ringer werden vorübergehend als Gastringer bei anderen Vereinen unterkommen. „Nach der Saison kommen sie aber wieder zurück zur RWG.“ Finanziell ist der Verein gut aufgestellt, sodass die RWG auch ohne Einnahmen durch Heimspiele erstmal auskommt. Schwerer liegen die sportlichen Konsequenzen. „Wir werden den Zwangsabstieg antreten müssen“, so Hofmann. „In welcher Liga wir eingestuft werden, ist noch offen. Dazu gibt es auch eine finanzielle Strafe. Wie hoch die ausfällt, kann ich leider jetzt auch noch nicht sagen.“ Jannis Zamanduridis hat früher selbst bei der RWG gerungen. „Das ist sicher eine ganz traurige Geschichte für die Region.“ Laut Zamanduridis habe man über die letzten Jahre zu wenig in den Nachwuchs investiert. „Peter Behl, Roger Gries, Michael Carl oder auch Bürgermeister Felix Wissel - sie alle haben früher bei der RWG das Ringen erlernt.“ Die Verantwortlichen müssten jetzt in sich gehen und die Struktur des Vereins neu aufbauen. „Die RWG ist ein großer Traditionsverein und es gibt sicher Leute, die das unterstützen möchten.“