Noch Kind oder schon Mörder?
BAYER. UNTERMAIN (jm). Der Vorfall schockte die ganze Region - vor gut einer Woche soll ein 14-Jähriger einen Gleichaltrigen in Lohr erschossen haben. Bereits zuvor gingen in diesem Jahr unverhältnismäßig viele Morddelikte von Minderjährigen durch die Presse. Aber wie läuft ein Mordprozess mit Kindern ab und ist die Strafunmündigkeits-Grenze noch gerechtfertigt? PrimaSonntag hat mit Experten und Lesern gesprochen.
Christoph Jahrsdörfer ist seit 36 Jahren Rechts- und Fachanwalt für Strafrecht in Aschaffenburg. In dieser Zeit war er Verteidiger in einigen namhaften Prozessen in der Region. Mit so jungen Täter hatte aber selbst er noch nicht zu tun. „Grundsätzlich gilt in solchen Fällen erstmal Jugendstrafrecht, wenn überhaupt Strafmündigkeit vorliegt.“ Alles unter 14 Jahren kann strafrechtlich nämlich nicht verfolgt werden. „Ich hoffe auch, dass das so bleibt.“ Die Höchststrafe im Jugendstrafrecht liegt bei zehn Jahren. „Es geht hier mehr um Erziehung als um Ahndung einer Straftat. Man muss sich überlegen, welche Maßnahmen notwendig sind, um den jungen Tätern einen Lebensweg ohne Straftaten aufzuzeigen.“ Auch nach der Haft wird sich um die Verurteilten gekümmert. „In der Regel stehen diese Leute unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht. Es gibt bestimmt Auflagen, die erfüllt werden müssen.“ In Fällen von Tätern unter 14 Jahren sei das Jugendamt aufgerufen, Maßnahmen zu finden. „Das ist sehr individuell. Wenn die familiären Verhältnisse desolat sind, dann werden die Tatverdächtigen in einer Kinder- und Jugendeinrichtung untergebracht. Da läuft aber wirklich nichts über die Staatsanwaltschaft.“
Neues
Verantwortungsverfahren?
„Wenn Kinder unter 14 Jahren einen anderen Menschen töten oder andere schwere Straftaten verwirklichen, löst das Entsetzen aus“, erklärt Winfried Bausback, ehemaliger bayerischer Justizminister aus Aschaffenburg. „In diesen Fällen ist in der Erziehung etwas grundsätzlich falsch gelaufen.“ Eine vollständige Aufarbeitung der Taten bleibe bei unter 14-Jährigen dabei derzeit regelmäßig aus. Es erfolge die Einstellung der Ermittlungen mit Blick auf die Strafunmündigkeit des Täters. „Verfahren abgeschlossen. Opfer werden dabei mit einem Gefühl der Ohnmacht zurückgelassen.“ Hier sieht Bausback Handlungsbedarf. „Eine generelle Absenkung der unteren Grenze der Strafmündigkeit halte ich für den falschen Weg. Unter 14-jährige Kinder haben regelmäßig nicht die Reife für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit. Für sie sollte ein neues eigenes gerichtliches Verantwortungsverfahren geschaffen werden.“ Die CSU hat sich auf seinen Antrag vor einiger Zeit für diesen Weg ausgesprochen. In so einem Verantwortungsverfahren kann das Tatgeschehen unter verpflichtender Anwesenheit der Erziehungsberechtigten und der Kinder von Staatsanwaltschaft und Jugendgericht aufgearbeitet werden. „In jedem Fall muss auf Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren, die schwere Gewalttaten verwirklichen, eingewirkt werden. In der Regel sollte das Kind zumindest zeitweise aus seiner Familiensituation herausgenommen werden. Ziel muss sein, zu verhindern, dass solche Kinder später Stammgast im Gefängnis werden.“
Das sagen unsere Leser:
Günther Wiegner aus Aschaffenburg:
„Es ist sehr schwierig, weil es Jugendliche sind. Man kann sie ja nicht alle über einen Kamm scheren. Wenn sie aber bestraft werden sollen, dann muss es schon stark sein. Durchgreifen muss man. Aber wie das funktionieren soll, da kennen sich andere mehr aus“
Gerhard Hartmann aus Rodgau:
„Ich bin schon der Meinung, dass man zumindest darüber nachdenken sollte, dass die Strafmündigkeit runtergesetzt wird. Ich bin auch strikt dagegen, dass die lieben Kleinen nach allen Regeln geschützt werden. Gesicht verpixelt, Name nicht genannt. Nehmen Sie mal letzten Oktober oder November, wo sie die 11-Jährige umgebracht haben. Es kann mir keiner erzählen, wenn die vorher nach ‚Strafmündigkeit ‚googeln“, dass das Zufall war. Die haben das geplant. Und einer, der zu so einem planerischen Handeln im Stande ist, der muss auch die Konsequenzen dafür in Kauf nehmen. Und die Strafmündigkeit mit 14 stammt aus einer Zeit, wo die Entwicklung der Jugendlichen nicht so schnell war wie heute. Ich meine, ich bin Jahrgang 63. Nehmen wir mal das Thema sexuelle Aufklärung. Das haben ja die Eltern nicht gemacht. Das hat das Doktor Sommer-Team aus der Bravo gemacht. Heutzutage gibt es ja mit 10,11,12 schon die ersten Schwangerschaften.“
Christian Gebhardt aus Aschaffenburg:
„Ich glaube, die Aggressivität steigt nicht nur unter Jugendlichen. Ich habe das Gefühl, die ganze Gesellschaft wird zunehmend aggressiver, aufgekratzter und enthemmter.“
Laura Zarantonello aus Aschaffenburg:
„Ich finde, da muss ein bisschen härter eingegriffen werden – allgemein. Die, die das entscheiden, sollten auf jeden Fall darüber nachdenken. Das steht fest.“
Lisa Rupprecht aus Schaafheim:
„Ich glaube, es kommt immer auf den Background an, wie man aufwächst und mit was für einer Intension man das auch macht. Es ist super schwierig. Ich glaube, das sollte im Einzelfall eher begutachtet werden, anstatt jetzt ein krasses Gesetz zu machen. Unter 16 hast du keinen Kopf. Da kannst du alles machen, was du willst und wirst als Jugendlicher bestrafft. Ich finde es situationsabhängig.“
Paula Engelhard aus Stockstadt:
„Ich bin immer Fan von sozialen Projekten, gerade für Jugendliche. Die müssen gefördert und ihnen Möglichkeiten gegeben werden. Und ich finde, das sollte man weiter unterstützen und ausbauen. Es ist auch immer eine Einzelfall-Betreuung. Das sollte auf keinen Fall wieder passieren. Man könnte präventiv die Sozialisierung von Jugendlichen fördern. Dass so etwas gar nicht passiert. Und wenn sowas passiert, dann den Einzelfall angucken, wie weit der Jugendliche in seiner Entwicklung dann schon war, aber ich würde es jetzt nicht pauschal runter auf 12 setzen.“