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Nase voll von Dauer-Demos?

29.09.2024, 06:30 Uhr in PrimaSonntag
Demos

+++ Proteststadt Aschaffenburg +++ Stumpfen die Menschen ab? +++ Wieso Demos trotzdem wichtig sind +++

BAYER. UNTERMAIN (kh/mg).Aschaffenburg, die sonst so beschauliche Stadt am Main, ist seit 2021 immer wieder Schauplatz eindrucksvoller Proteste geworden. Ob gegen Corona-Maßnahmen, für Demokratie oder gegen Rechtsextremismus. Eigentlich ein schönes Zeichen von Demokratie: Menschen versammeln sich, um ihre Meinung lautstark kundzutun. Doch in letzter Zeit reißen die Demonstrationen einfach nicht ab. Viele Bürger haben die Nase gestrichen voll. Immer häufiger nutzen rechtsextreme Gruppierungen die Protestwelle für ihre eigenen Botschaften. Was einst als friedlicher Ausdruck der Meinungsfreiheit galt, wird immer mehr zu einer Bühne für Hassparolen und extreme Positionen - von rechts wie links. Vielen Menschen reicht’s, der Demo-Lärm und das ständige Verkehrschaos werden zur Belastung.

Egal ob die erste Frauenbewegung 1968, die Anti-Atomkraftbewegung in den 70er Jahren, die Proteste gegen die Startbahn West vom Frankfurter Flughafen in den 80ern oder die Fridays for Future-Proteste von Schülern 2018. Millionen Deutsche gehen jährlich für alle möglichen Ziele auf die Straße - und schaffen es mit ihrem Protest tatsächlich, Dinge zu verändern. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsinstitutes Ipsos ist gut jeder zehnte Deutsche in den vergangenen fünf Jahren demonstrieren gegangen. Aber egal, ob man direkte Veränderungen in der Politik bemerken kann oder nicht – in Aschaffenburg scheint man den Protest zu lieben. Als die „deutsche Proteststadt“ wurde das bayerische Nizza sogar im vergangenen Jahr verhöhnt.

Jüngste Ereignisse
Am Tag der Demokratie (14.9.2024) war es wieder soweit. Drei Demos gegen Rechts, eine Demo für Rechts und dazu noch Fahrradfahrer, die gegen unaufmerksame Rechtsabbieger protestierten. Oberbürgermeister Jürgen Herzing hat sich klar positioniert – gegen alles, was seiner Ansicht nach rechts ist: „Das ist eine Szene, die sehr empört ist, weil sie vermeintlich in die rechte Ecke geschoben wird. Die ersten Proteste waren eine wilde Hetzkampagne gegen die SPD Aschaffenburg. Ich habe mitbekommen, dass hier teilweise Reichsbürger mitlaufen und Personen aus der NPD Hessen. Wir bleiben also dabei, dass diese Leute rechtsorientiert sind. Und jeder, der dort mitläuft gehört irgendwie dazu.“ Der Gründer von „Aschaffenburg steht auf“, Bruno Stenger, gesellte sich dagegen zu der Bürgerbewegung Unterfranken, die gegen die sogenannte „Nazi-Keule“ protestierte. Er stellt im PrimaSonntag-Interview seine Sicht der Dinge dar: „Am 14. September hatten wir abseits der Rhein-Main-Demo eine Kundgebung. Den vorbeiziehenden Teilnehmern von Fahrrad-u. Bunt-Demo haben wir freundlich zugewunken. Die Antwort darauf waren „Stinkefinger” und „Nazis Raus”- Rufe. Unseren Herrn Oberbürgermeister konnte man bei dieser Gelegenheit wieder einmal im freundlichen Gespräch mit der kriminellen Antifa u. den Schreihälsen beobachten. Man stellt uns so oder so in die rechtsradikale Ecke und dieses Verhalten wird von den Stadtoberen noch gefördert”

Wie viele Demos macht eine Stadt mit?
In der Statistik der Stadt Aschaffenburg ist eine klare Tendenz zu erkennen, dass in jedem neuen Jahr mehr Demos angemeldet werden. Allerdings haben sich die Beweggründe über die Jahre stark verändert. Von Tierrechtsaktivisten oder Fridays for Future-Demos ist es ab 2022 immer politischer geworden. Und immer intoleranter gegenüber dem politischen Gegner. Das ging sogar so weit, dass auf einer Demonstration gegen Hass und Hetze Linke-Teilnehmer aufriefen, Bruno Stenger zu hassen. Der Aschaffenburger Diplom-Psychologe Jürgen Junker sieht dennoch das Problem vorwiegend am rechten Rand. Er schreibt im PrimaSonntag-Interview vornehmlich von „Wutbürgern“, „Querdenkern“ oder „Nazis“. „Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, bei denen persönliche Vorteile, narzisstische Wichtigkeit und Geltungsdrang eine große Bedeutung haben.“ Abgesehen davon hält Junker das ganze Demonstrieren für eine Belastung der Anwohner. „Wenn martialisch trommelnde Horden aufmarschieren oder stundenlang Traktorenzüge die Innenstadt verpesten, ist es nicht ganz verwunderlich, dass dann ein Teil der Anwohner ein sehr ungutes Gefühl bekommt“, so Junker. Dieser Meinung ist auch Bruno Stenger: „Ich kann voll verstehen, dass Einwohner Aschaffenburgs sich über die Lärmbelästigung von den Großdemos durch den Stadtkern aufregen und teilweise sogar die Stadt verlassen.“ Stenger plädiert für „ein gewisses Maß an Toleranz“.

Zwischen den Fronten
Für die Bewegung „Aschaffenburg ist bunt“ steht dennoch fest: „Wenn es diese von rechtsextremen Gruppierungen gesteuerten wirren Großdemos nicht gäbe, die das gesellschaftliche Klima in der Stadt zu vergiften versuchen, müssten wir auch nicht mit unseren Veranstaltungen klar Stellung beziehen, um für unsere Agenda des Miteinanders und für den Erhalt unserer demokratischen Werte zu werben. Als großes Bürgerbündnis sehen wir uns in der Pflicht, dagegen zu halten. Wenn wir nicht daran glauben würden, würden wir alle nicht so viele ehrenamtliche Arbeit für das Bündnis leisten. Wir arbeiten am Schulterschluss der Stadtgesellschaft gegen identitäre Ausgrenzungsversuche rechtsautoritärer Kreise“, so Claus Berninger, einer der Sprecher des Bürgerbündnisses „Aschaffenburg ist bunt“. Auch für die Gegenseite wird es erstmal so weitergehen. „Wir glauben fest daran, dass wiederholte Demonstrationen ein entscheidender Impuls für das politische Bewusstsein und Engagement der Bürger sein können. (…) Unsere Hoffnung ist es, dass die wiederholten Proteste zu einem Umdenken in der Politik führen. Wir fordern eine transparentere und realitätsnähere Diskussion über die Auswirkungen der aktuellen politischen Maßnahmen. Eine stärkere Bürgerbeteiligung und ein offener Diskurs über die Themen, die unsere Gesellschaft spalten, sind unerlässlich für den sozialen Frieden. Deshalb bieten wir auch des öfteren Gesprächsbereitschaft mit unseren ‚Gegnern‘ an, die jedoch leider Gespräche mit uns kategorisch ablehnen. Wir wünschen uns eine Demokratie, die ihren Namen verdient“, sagte uns Michael Hetzel von „RheinMain steht auf“. Es heißt also weiterhin für die Anwohner und Besucher: Mitmachen oder aushalten - in der Proteststadt Aschaffenburg.


KW39 Demos UMF 1
Martina Gruber aus Aschaffenburg

„Ich schaue mir so etwas nicht an. Mit Politik habe ich es nicht so.“

KW39 Demos UMF 2
Ursula Schönborn aus Aschaffenburg

„Ich finde es eigentlich in Ordnung - einfach, weil vielleicht ein bisschen was gemacht und umgesetzt wird, wenn demonstriert wird.“

KW39 Demos UMF 3
Maria Väth aus Weibersbrunn

„Ich finde es auf jeden Fall gut, dass es mehr Demonstrationen gegen Rechts(extremismus) gibt. Weil man rechts echt nicht braucht.“

KW39 Demos UMF 4
Heinz Meile aus Heigenbrücken

„Ich finde Demonstrationen in Ordnung, solange sie friedlich von statten gehen. Und ich denke, für die Demokratie ist es wichtig.“

KW39 Demos UMF 5
Hanna Rehak aus Aschaffenburg

„Ich kann da sowieso nicht dran teilnehmen, weil ich so lange nicht unterwegs sein kann. Es ist schon gut, dass die Menschheit demonstriert, aber wir erreichen sowieso nichts.“

KW39 Demos UMF 6
Alban Kempf aus Kahl

„Das nervt mich auf Dauer. […] Es geht mir auf den Senkel. Wohin soll das mit Deutschland noch gehen?“

KW39 Demos UMF 7
Florian Brunner aus Aschaffenburg

„Gestört bin ich nicht von Demonstrationen, das ist ein Grundrecht in Deutschland, das finde ich schon in Ordnung. Man kann ja zeigen, dass man gegen irgendetwas ist und das muss man irgendwo ausdrücken. In meiner Jugendzeit habe ich auch demonstriert gegen Rechts(extremismus), gegen Atomkraft. Heute gehe ich selten demonstrieren, das überlasse ich der Jugend.“

KW39 Demos UMF 8
Gabi Meyer aus Aschaffenburg

„Manche (Demos) sind berechtigt, manche einfach übertrieben. Wenn die Rechtsradikalen auf die Straße gehen, das hat nichts mit unserer Demokratie zu tun, da bin ich dagegen.“