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Eingesperrt in den eigenen vier Wänden

04.08.2024, 06:00 Uhr in PrimaSonntag
Einsamkeit im Alter

BAYER. UNTERMAIN (ml/ps/kh). Vor ein paar Jahren saß der Partner noch mit am Tisch, jetzt ist der Platz leer. Die Einsamkeit zieht ins Leben ein. Der Mensch ist zwar ein Gewohnheitstier, aber braucht auch soziale Kontakte, um glücklich zu sein. Gerade im Alter scheint dies immer schwerer zu werden - viele Menschen verlassen seltener ihre eigenen vier Wände. Häufig sind sie dazu körperlich nicht mehr in der Lage - Freunde und Bekannte sind bereits verstorben. Einsamkeit ist die traurige Folge der sozialen Isolation. Und die kann im Alter jeden treffen, so wie Elvira George (84) aus Aschaffenburg.

Alleinsein ist nicht gleichbedeutend mit Einsamkeit. Einsamkeit beschreibt die unangenehme Erfahrung, dass die eigenen sozialen Kontakte entweder quantitativ oder qualitativ nicht ausreichen. Einsamkeit im Alter ist ein ernstzunehmendes Problem. Das aktuelle Einsamkeitsbarometer des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt es: Personen über 75 Jahre sind seit jeher am stärksten von Einsamkeit betroffen. Dabei gibt es auch einen Unterschied zwischen den Geschlechtern: So sind Frauen im Alter fast doppelt so häufig von Einsamkeit betroffen wie Männer. Der Anteil einsamer Frauen ab 80 Jahren beträgt laut Statista 29 Prozent, während in dieser Altersgruppe nur 17,5 Prozent der Männer einsam sind. Das liegt auch daran, dass Seniorinnen öfter ihren Partner verlieren als umgekehrt - Männer sterben im Durchschnitt fünf bis sieben Jahre früher.

„Es ist egal, ob man existiert“
Der Zustand der sozialen ist Isolation sogar ausgesprochen gefährlich - laut dem Institut für Gesellschaftsmedizin der Universität Umeå (Schweden) ist er sogar mit fünfzehn Zigaretten pro Tag vergleichbar. Auch die Koordinatorinnen aus dem Hospiz der Malteser Aschaffenburg, Christiane Göhring und Christina Neumann warnen vor dem dunklen Schatten der Einsamkeit: „Wir im Hospizdienst sind bereit da zu sein, wenn andere schon gegangen sind, wir halten alles bis zum Schluss aus. Wenn ein Mensch einsam wird, baut er einfach ab, die Lebensqualität schwindet. Es ist traurig. Da sieht man Schicksale, wo Menschen ihr Leben lang viel geleistet haben und auf einmal versteht sie keiner mehr.“ Der ehrenamtliche Hospizdienst kommt besonders oft in die Situation, dass alte Menschen kein soziales Umfeld mehr haben. „Wir können diese Menschen dann ein Stück begleiten, zum Beispiel in Trauergruppen - hier können die sozialen Kontakte aufgefrischt werden“, so Neumann. „Aber am schlimmsten ist dieses ‚Ich-bin-vergessen-Gefühl‘. Das führt leider oft zu Suizid im Alter. Es schwindet der Lebensmut, wenn man denkt, dass es egal ist, ob man existiert.“

„Heutzutage hat keiner mehr Zeit“
Elvira George fühlt sich einsam. Und das, obwohl sie in ihrem Leben immer viel Kontakt zu Menschen hatte und selbst viel geleistet hat. „Dann sind mir drei Buben vors Fahrrad gehüpft, ich bin gestürzt und seitdem ist alles anders.“ Sie fiel über den Lenker auf den Bürgersteig und verletzte sich an der Rippe sowie am Unterarm. In dem ist jetzt eine Metallplatte, die es ihr unmöglich macht, Dinge mit ihrer linken Hand zu halten. „Durch eine frühere Operation ist auch eins meiner Beine sechs Zentimeter kürzer als das andere und ich kann nicht mal mehr mit dem Rollator laufen.“ Autofahren sei auch zu gefährlich. Somit ist die Wahl-Aschaffenburgerin an ihre Wohnung gefesselt und fühlt sich einsam. „Als mein Auto noch angemeldet war, vor meinem Unfall, habe ich meine Freundinnen besucht, sie zu Festen gefahren - das habe ich immer so gerne gemacht.“ Ihre Freundinnen haben alle keinen Führerschein und ihr gefiel es, sich durch die Botenfahrten nützlich zu machen. Nachdem das wegfiel, brach für sie die ganze Welt zusammen. „Mir fehlt einfach jemand zum Reden. Dafür hat ja heute niemand mehr Zeit“, erzählt die 84-Jährige

Was kann man tun?
Vielen Menschen hilft es in schwierigen Situationen, bereits den Austausch über das Telefon zu suchen. Das ist zum Beispiel bei fehlenden Kontakten über das Silbernetz jederzeit unter der Nummer 08004708090 möglich. Die Initiative hat sich darauf spezialisiert, ein offenes Ohr für Senioren zu haben. Andere schaffen sich ein Haustier an, insofern man in der Lage ist, sich ordentlich um das Tier zu kümmern, oder engagieren sich in Vereinen oder für wohltätige Zwecke. Auch helfen kann zum Beispiel eine Tagesbetreuung, wie die von den Johannitern Miltenberg. Tagespflegeleiterin Karola Schumacher sieht vor allem eine Chance für die älteren Menschen, um wieder in die Gesellschaft zu finden. „Man kommt morgens hier her und wird abends wieder nach Hause gebracht. Bei uns werden sie beschäftigt, bekommen Essen, machen Gymnastik, Singen zusammen. Das kann erstmal viel bewirken.“ Man muss raus aus den eigenen vier Wänden. Schumacher erzählt: „ Aus Freudenberg hatten wir eine ganze Clique, die sich nicht mehr sehen konnten und sich bei uns in der Tagespflege wieder zusammengefunden hat - wie ein Stammtisch quasi. Und wenn wir einen kleinen Schiffsausflug machen, kommt meistens der Satz: ‚Hier war ich ja schon ewig nicht mehr!‘“ Eine Universallösung wird es für das Problem Einsamkeit im Alter nicht geben. Aber selbst über den eigenen Schatten zu springen um darüber zu sprechen, neue Dinge für sich zu entdecken und so neue Menschen kennenzulernen, ist wahrscheinlich einer der besten Wege.

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