"Ich habe Männerhass entwickelt"
BAYER. UNTERMAIN (jm).Diese Zahlen machen fassungslos und sorgten für Wut und Kopfschütteln. Laut einer aktuellen Befragung gaben 33 Prozent der Männer zwischen 18 und 35 an, es „akzeptabel“ zu finden, gelegentlich Gewalt im Streit mit der Partnerin anzuwenden. Wie kommt es zu dieser Gewaltbereitschaft und diesem veraltetem Rollenbild. PrimaSonntag hat mit einer Betroffenen und Experten die Zahlen eingeordnet.
„Ich habe sehr oft Schreie gehört“, erinnert sich Julia* aus dem Kreis Miltenberg. „Mein Vater wurde dann laut und hat meine Mutter geschlagen.“ Sie musste als Kind regelmäßig mit ansehen, wie der Vater ihre Mutter schlug und erniedrigte, oft im Zusammenspiel mit Alkohol. „In den meisten Fällen waren es Backpfeifen und Beleidigungen.“ Das Bestialische - ihr Vater bezog dabei sogar die Kinder mit ein. „Er hat dann beispielsweise gesagt, dass wir der Mama jetzt einen Streich spielen und hat sie dann blöd geneckt“, erzählt Julia. „Er hat sie auch immer schlecht geredet.“ Erst als die Miltenbergerin zehn Jahre alt ist, bemerkt sie die Misshandlungen zum ersten Mal aktiv. „Mein Vater hatte nebenbei eine Affäre. Da hat er mich auch zu Treffen mitgenommen. Zu dieser Frau war er immer sehr liebevoll“, erklärt Julia. „Dann kam er nach Hause und hat meine Mutter wieder provoziert.“ Je älter sie wurde, desto mehr machte sie es sich zur Aufgabe, ihre Mutter zu schützen. „Ich musste sehr schnell erwachsen werden und mich um vieles kümmern. Auf der anderen Seite war ich nicht so weit entwickelt wie andere Jugendliche in meinem Alter. Ich war wie im Überlebensmodus.“ Der dauerhafte Stress habe sie sehr zurückgehalten. „Als ich älter wurde, habe ich einen Männerhass entwickelt, der bis jetzt nicht ganz weg ist.“
Frau in knapp
80 Prozent das Opfer
Nach Zahlen des Polizeipräsidiums Unterfranken entwickelt sich die Zahl der Fälle von Häuslicher Gewalt in den letzten Jahren zurück. 2021 waren es 477 Fälle, 2022 nur noch 403. Höchststand der letzten Jahre war das Corona-Jahr 2020: Hier kam es zu 534 Fällen. Erschrecken hoch ist allerdings die Zahl der weiblichen Geschädigten. Im letzten Jahre waren es 78 Prozent, im Jahr davor sogar 81. Aber woher kommt diese hohe Gewaltbereitschaft bei jungen Männern? „Es gibt mehrere mögliche Ursachen“, erklärt Jürgen Junker, Diplom-Psychologe aus Aschaffenburg. „Hoher innerer nervlicher, psychischer Druck und muskuläre Anspannung, die sich gerade bei jüngeren Männern massiv aufbaut.“ Andere Gründe seien persönliche Unzufriedenheit, negativ ausfallende soziale Vergleiche, konfrontiert werden damit, dass ‚Mann‘ nicht so genial ist, wie ‚Mann‘ glaubt verdient zu haben.“
„Macht fassungslos“
„Das veraltete Rollenbild zwischen Mann und Frau ist eine Fluchtphantasie und Rechtfertigungsvorstellung, die es ermöglichen soll die eigene Bedeutsamkeit hoch zu ziehen“, erläutert Junker. „Letztlich dient es der Erhaltung der männlichen narzisstischen Machtstellung und wehrt unbequeme Rollenveränderungen ab.“ In Julias Haushalt dauerte die brutale Tortur fast 30 Jahre. Die Ergebnisse der Befragung schockieren sie. „Es macht mich einfach nur fassungslos“, wütet die Miltenbergerin. „Jeder Gewaltakt ist einer zu viel. Es kann mit Schubsen anfangen, das von Mal zu Mal fester wird.“
*Name von der Redaktion geändert
Das sagen unsere Leser
Peter Grender aus Krombach
„Ganz furchtbar! Viele sind einfach unbeherrscht oder haben keine gute Erziehung genossen. Das befördert natürlich die Gewalt.“
Andreas König aus Aschaffenburg
„Das geht gar nicht. Da spielt sicherlich eine Menge Macho-Gehabe eine Rolle. Daraus entsteht dann so ein veraltetes Frauenbild.“
Petra Muschik aus Aschaffenburg
„Gewalt kann auch sprachlich sein und körperliche Gewalt geht erst recht nicht. Ich bin 1960 geboren, wir sind da ganz anders aufgewachsen – das war ja die Zeit der Emanzipation.“
Barbara Schneider aus Aschaffenburg
„Was mich da wirklich schockiert hat, ist das Rollenbild der Frau. Ich dachte, wir wären gesellschaftlich weiter.“
Susanne Spitzner aus Aschaffenburg
„Ich glaube, es liegt an der Verwahrlosung der Gesellschaft - Respektlosigkeiten sind normal geworden. Dass man sich gegenseitig Respekt zollt, ist uns irgendwie verloren gegangen.“
Jürgen Purmann aus Aschaffenburg„Die Blödheit liegt klar bei dem, der das macht. Ich glaube, dass das veraltete Frauenbild einfach noch ziemlich präsent ist.“
Urban Kroth aus Aschaffenburg
„Ganz furchtbar. Ich glaube, dass da viel zusammen kommt: das ganze Umfeld, Stress und viele Emotionen. Das wird dann am vermeintlich Schwächstem ausgelassen – und das ist in den Moment die Frau.“