„Hatte anfangs Angst, sterben zu müssen!"
BAYER. UNTERMAIN (mg). Wenn es in den vergangenen Jahren um ein Virus ging, war meistens von Corona die Rede. Testen ist zum Alltag geworden. Ein wenig in den Hintergrund gerückt ist dadurch ein anderes Virus - das Humane Immunschwächevirus, kurz HIV. Während die Infektion heutzutage gut behandelbar ist, scheint das behaftete Image und die Stigmatisierung von Betroffenen auch noch heute ein Thema zu sein.
„Ich denke schon, dass die HIV-Infektion noch negativ behaftet ist, beziehungsweise, dass man in Schubladen gesteckt wird.“ Arno*, 38, aus Aschaffenburg hat sich zu Beginn der Corona-Pandemie mit dem Virus angesteckt. Von seiner Infektion wissen nicht viele, nur der engste Familienkreis. „Die Befürchtung, dass das nicht objektiv oder vorurteilsfrei aufgenommen wird, ist auf jeden Fall da.“ Aus eigener Erfahrung weiß der Homosexuelle, dass immer noch viele Menschen eine negative Einstellung zum Virus haben. Die Immunschwäche Aids trat erstmals 1982 ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit, als sie sich über den gesamten Globus verbreitete. Die betroffene Patientengruppe zu Beginn: Männer, die Sex mit Männern hatten und aufgrund ihrer Krankheit stark stigmatisiert wurden. Man sah die sexuelle Orientierung als Ursache.
Vorurteile auch heute noch groß
„Schließlich wurde 1983 das Humane Immunschwächevirus als auslösender Erreger von Aids identifiziert.“ Dr. Susanne Wiebecke von der Praxis Kaisergärtchen in Würzburg ist für HIV-Positive in unserer Region zuständig. In Unterfranken kann man sich lediglich in Würzburg behandeln lassen. „Bei rechtzeitiger Therapieeinleitung können die Menschen in der Regel ein beschwerdefreies Leben mit normaler Lebenserwartung führen“, so die Fachärztin. Größtenteils sind Patienten nicht mehr ansteckend und der Immunstatus stabil. In der Außenwahrnehmung hat das Krankheitsbild seinen anfangs tödlichen Schrecken verloren.“ Doch trotzdem sieht die Schwerpunktärztin das Hauptproblem immer noch in der Stigmatisierung: „Ausgrenzung, Ablehnung, Anfeindungen - über 90 Prozent der Betroffenen machen diese Erfahrung. Die Angst vor Diskriminierung hat, neben dem fehlenden Risikobewusstsein, einen starken Einfluss auf den Zeitpunkt der HIV-Diagnosestellung nach erfolgter Infektion und die anschließende Bereitschaft, sich einer kompetenten Betreuung anzuvertrauen.“ Das gleiche Gefühl hatte Arno: „Natürlich war es ein Schock für mich. Ich kam auf die Intensivstation, hatte Probleme mit meiner Lunge. Man testete mich zuerst auf Corona, aber als das ausgeschlossen wurde, fiel der Verdacht auf HIV.“ Er brauchte ein wenig Bedenkzeit, die Einwilligung einen HIV-Test zu machen fiel ihm nicht leicht: „Es war die einzige Möglichkeit zu überleben, aber zu dem Zeitpunkt war es mir nicht ganz so klar, dass es so gut zu behandeln ist. Ich hatte Angst vor der Gewissheit, dass ich infiziert sei und sterben könnte.“
Verbesserte Versorgung
Bei Arno wurde die Infektion erst zu einem späteren Zeitpunkt erkannt, weshalb seine Lunge und sein Immunsystem sich erst erholen mussten - ohne die Therapie wäre er heute nicht mehr am Leben. Heidrun Brand, Leiterin der HIV/Aids-Beratung Unterfranken von der Caritas ist bei dem Treffen mit dem Patienten dabei. „Es gibt inzwischen eine gute Bandbreite an verträglichen Medikamenten.“ Heutzutage reicht eine Tablette am Tag, die verschiedene Wirkstoffe enthält - doch die muss auch ohne Ausnahme genommen werden: „Schon wenige Aussetzer verschlechtern das Therapieergebnis immens. Das ist schon eine Belastung, vor allem, wenn man es in jungen Jahren bekommt und dann 40, 50 Jahre diese Tabletten nehmen muss.“ Ihr Patient stimmt zu, kennt aber auch Betroffenen, bei denen Nebenwirkungen, in Form von Magenproblemen, aufgetreten sind. Früher war die Wahrscheinlichkeit, dass die Körper der Betroffenen durch die langjährige Einnahme geschädigt wurden, sehr viel größer. „Heutzutage ermöglicht eine rasche Diagnose den unmittelbaren Zugang zur sog. antiretroviralen Therapie und hilft weitere Übertragungen zu vermeiden“, so Dr. Wiebecke. Einer ihrer Patienten bekam die Diagnose schon vor fast 20 Jahren. „Auch für mich war es ein Schock, aber wenn man sich in gewisse Sachen hineinbegibt, gibt es halt Konsequenzen“, erzählt er uns. Wie er sich angesteckt hat, kann er nur vermuten. Bei ihm hat es ein wenig gedauert, bis die richtigen Medikamente gefunden wurden. „Zu Beginn hatte ich große Angst, aber mittlerweile bin ich befreiter und offener.“ Trotzdem teilt er sein Schicksal nicht mit vielen Menschen: „Die Vorurteile sind vor allem in den ländlichen Gegenden noch groß.“
Testwochen sollen sensibilisieren
Der Alltag beider Patienten hat sich kaum verändert. Die tägliche Medizin, mehr Sport, gesündere Ernährung und noch mehr Vorsicht beim Geschlechtsverkehr sind an der Tagesordnung. Generell wünschen sich sowohl Betroffene als auch Ärztin und Sozialpädagogin mehr Aufklärung. „In den letzten Jahren ist das Thema ein wenig untergegangen. Es ist nicht mehr so präsent wie vor einem Jahrzehnt.“ Vor allem junge Menschen haben kaum einen Bezug oder eine Vorstellung von dem Virus. Die aktuellen HIV-Testwochen sollen nun wieder mehr darauf aufmerksam machen und sensibilisieren, dass nicht nur eine Risikogruppe gefährdet ist, sondern, dass der ungeschützte Sex an sich ein Risiko für alle darstellt. 2020 schätzte das Robert Koch-Institut, dass über 12.000 Menschen mit HIV oder Aids in Bayern leben. 7000 davon infizierten sich durch Sex zwischen Männern, fast 1.500 durch heterosexuelle Kontakte und knapp 1.000 in Form des Drogenmissbrauchs. Während der Corona-Pandemie gab es deutlich weniger Testangebote und Testungen, weshalb Experten eine steigende Zahl an Infektion befürchten. Genau deshalb ruft das Bayerische Gesundheitsministerium zu den HIV-Testwochen auf. Sowohl Schnelltests als auch Labortests können in jedem Gesundheitsamt in Bayern durchgeführt werden, sodass die, nach wie vor hohe Anzahl an Menschen, die nicht von ihrer Infektion wissen, sinken kann - dass, das Leben für alle ein wenig sicherer wird und einige Leben vielleicht sogar gerettet werden können.
*Name, Alter und Wohnort auf Wunsch von der Redaktion geändert.