Finger weg von unseren Lappen
BAYER.UNTERMAIN/BRÜSSEL (mz). Fahranfänger, die höchstens 90 fahren dürfen. Dazu ein Nachtfahrverbot und ab 60 Jahren soll der Führerschein nur noch sieben Jahre lang gültig sein - dann muss er neu gemacht werden. Was aktuell noch wie ein Hirngespinst klingt, könnte bald schon Realität werden – zumindest wenn es nach der EU-Kommission geht. In Brüssel laufen aktuell Vorbereitungen zu einer großen Führerschein-Reform. Doch die Ideen stoßen auf große Kritik - auch bei Fahrschulen in unserer Region.
Erst in dieser Woche sorgte eine 84-jährige Autofahrerin in Seligenstadt für Schlagzeilen. Die Dame war in einem Kreisverkehr von der Fahrbahn abgekommen und auf den Gehweg gefahren. Dort rammte die Mercedes-Fahrerin einen Telefonschaltkasten und zwei Fahrzeuge, ehe sie eine Frau mit ihrem Kinderwagen erwischte. Die Mutter kam schwerverletzt ins Krankenhaus, dem Baby ist glücklicherweise nichts passiert. Es sind diese Geschichten, die für eine Diskussion über ältere Autofahrer sorgen. Sollten Senioren regelmäßig ihre Fahrtauglichkeit überprüfen und können so solche Unfälle vermieden werden? Einige EU-Verkehrspolitiker haben jetzt einen Vorstoß gewagt und Ideen präsentiert, wie die Führerschein-Regeln reformiert werden könnten - und die haben es in sich.
„Das läuft völlig
ins Leere“
Für Fahranfänger gilt dann ein Tempolimit von 90 km/h, zudem könnte es ein Nachtfahrverbot für junge Autofahrer geben. Und ältere Autofahrer müssen regelmäßig ihre Fahrtauglichkeit nachweisen. Ob und wie diese Vorschläge Realität werden, steht noch in den Sternen. Nichtsdestotrotz sorgen sie schon jetzt für ordentlichen Zündstoff. Boris Großkinsky, Fahrlehrer aus Miltenberg, kann über diese Ideen jedenfalls nur den Kopf schütteln. „Gerade die Einschränkungen für Fahranfänger laufen völlig ins Leere. Mit dem Tempolimit von 90 fahren Anfänger dann nicht mehr schneller als ein LKW auf der Autobahn. Das kann nicht sinnvoll sein. Wir erzeugen damit künstliche Verkehrshindernisse, die dann auch zu gewagteren Überholmanövern auf der Landstraße führen.“ Und auch bei einem möglichen Nachtfahrverbot sieht Großkinsky Probleme. „Was machen wir mit Leuten, die nachts oder früh morgens zur Arbeit fahren müssen?“ Man wolle Dinge ändern, die überhaupt kein Problem darstellten, so Großkinsky.
Mehr Verkehrsunfälle
durch Senioren
Großen Reformbedarf bei Führerschein-Regeln sieht der Miltenberger Fahrlehrer nicht. Doch bei Fahranfängern habe sich durchaus etwas verändert. „Wir stellen schon fest, dass es bei aktuellen Fahrschülern so ist, dass sie im Kindesalter während Autofahrten mehr am Handy hängen. In meiner Kindheit habe ich die ganze Zeit aus dem Fenster geguckt. Das macht sich schon bemerkbar.“ Zum Knallhart-Urteil, dass aktuelle Fahrschüler schlechter sind als vorherige Generationen, will sich der Fahrlehrer aber nicht hinreißen lassen. Doch was sagt die Statistik? Schaut man sich die Zahlen von Autofahrern zwischen 18 und 24 Jahren an, liegen die Zahlen etwas unterhalb des Vor-Corona-Niveaus. Laut Verkehrsstatistik des Polizeipräsidiums Unterfranken, wurden im vergangenen Jahr 2.629 Verkehrsunfälle registriert, davon waren in mehr als der Hälfte der Fälle die jungen Erwachsenen die Verursacher. Beim Blick auf die Senioren fällt auf, dass sich die Zahl der Verkehrsunfälle im Gegensatz zu 2018 kaum verändert hat. In zwei Drittel der Fälle gelten die Senioren auch als Verursacher. Besonders auffällig: Während die Zahl der Verkehrsunfälle mit Fahranfängern sich in den letzten knapp 20 Jahren fast halbiert hat, ist sie bei den Senioren deutlich gestiegen. Sind neue Regeln für Senioren am Steuer deswegen vielleicht doch nötig? „Ich glaube, dass auch älteren Autofahrer so vernünftig sind, dass sie merken, wenn es mit dem Autofahren nicht mehr geht. Ich erlebe auch mehrmals pro Jahr ältere Menschen, die gerne mal eine Stunde mit einem Fahrlehrer fahren wollen“, erzählt Großkinsky. Insgesamt ist die Ablehnung der möglichen EU-Novelle auch bundesweit ziemlich groß. Eines haben die Vorschläge aber schon jetzt gebracht: eine Diskussion losgetreten – unter Autofahren und Fahrlehrern.
DAS SAGEN UNSERE LESER:
„Die Regeln für junge Autofahrer halte ich für Schwachsinn. Bei den Älteren bin ich da eher offen. Eine regelmäßige Prüfung im Alter ist in Ordnung – aber nicht schon ab 60.“
„Tempolimit mit 90 finde ich nicht gut. Auch die Regeln für Senioren finde ich eher nicht gut. Das ist eigentlich unfair gegenüber Senioren, die gut fahren.“
„Eine Tempobegrenzung für Junge ist okay, aber 90 ist schon ziemlich langsam. Eine regelmäßige Prüfung für Senioren wäre gut, es gibt schon einige, die nicht mehr alles so gut einschätzen können.“
„Ein Tempolimit für Fahranfänger schadet, glaube ich, nicht. Ich selbst habe schon länger keinen Führerschein mehr. Vielleicht sollte es für Ältere ein paar freiwillige Tests geben.“
„Also regelmäßige Tests für Ältere finde ich in Ordnung – auch wenn ich davon schon selbst betroffen wäre.“
„Also eine Tempovorgabe von 90 halten wir für ein bisschen albern. Eine regelmäßige Überprüfung im Alter finde ich sinnvoll – aber nicht schon ab 60 Jahren.“