Ein Wettlauf gegen die Zeit
BAYER. UNTERMAIN (mg). Dem Bayerischen Untermain gehen die Hausärzte aus – das Durchschnittsalter der Ärzte steigt und in immer mehr Praxen fehlt der Nachwuchs. Besonders betroffen sind ländliche Gebiete wie der Spessart oder der Landkreis Miltenberg, wo die Lage in den kommenden Jahren brenzlich werden könnte. Ein Blick auf die Zahlen zeigt das Ausmaß des Problems. Viele Praxen stehen vor dem Aus, sobald die aktuellen Inhaber in Rente gehen.
„Es wird in Zukunft einen generellen Ärztemangel geben“, sagt Dr. Joachim Lentzkow aus Goldbach. Der Hausarzt ist Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) für Unterfranken. „Zwar studieren zurzeit so viele junge Menschen Medizin wie lange nicht. Doch bis ein Hausarzt sich niederlassen kann, vergehen locker zwölf Jahre. Die Zeit drängt.“ In ganz Bayern liegt das Durchschnittsalter der Hausärzte bei 55,1 Jahren. Knapp 36 Prozent der Ärzte sind über 60 Jahre alt und werden in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen. In der Stadt Aschaffenburg beträgt das Durchschnittsalter der Hausärzte 55,5 Jahre, im Landkreis Miltenberg sogar 56,1 Jahre. Die hausärztliche Versorgung ist je nach Region sehr unterschiedlich. Gemessen wird die am Versorgungsgrad. Der gibt an, wie gut eine bestimmte Region ärztlich betreut wird. Bei 100 Prozent gibt es genauso viele Ärzte, wie statistisch für die dort lebende Bevölkerung benötigt werden. Während die Region um Alzenau mit einem Versorgungsgrad von 110,9 Prozent überdurchschnittlich gut da steht, sieht es andernorts bei uns deutlich schlechter aus. So liegt die Quote in der Stadt Aschaffenburg bei 89,8 Prozent und im Kreis Miltenberg bei 89,1 Prozent. In einigen Gemeinden wie in Röllbach oder Rüdenau gibt es derzeit überhaupt keine Hausärzte. Laut Landrat Jens Marco Scherf ist man statistisch gesehen regelversorgt, aber die ärztliche Versorgung ist eine der Top-Themen im Landkreis. „Die Wahrheit ist, dass unsere Praxen überlastet sind. Wir befinden uns in einem Generationenwandel. Viele Ärzte gehen langsam auf den Ruhestand zu und es fehlt an Nachwuchs.“ Deshalb versucht man im Kreis Miltenberg dem Trend entgegenzuwirken. Jährlich gibt es im September eine Aktion bei der junge Studierende in den Landkreis kommen, um dort ihr Famulaturprogramm zu absolvieren. Damit möchte man den angehenden Ärzten den Beruf als Landarzt in der Region attraktiver gestalten.
Hoffnung durch die Landarztquote?
Seit 2020 versucht Bayern mit der sogenannten Landarztquote gegenzusteuern. Bis zu 5,8 Prozent der Medizinstudienplätze werden an Bewerber vergeben, die sich verpflichten, nach dem Studium mindestens zehn Jahre als Landarzt zu arbeiten. Im aktuellen Auswahlverfahren haben sich über 120 junge Menschen für einen Studienplatz über die Landarzt- und ÖGD-Quote qualifiziert. „Viele junge Medizinstudierende wollen sich in Bayern niederlassen und als Hausärztin oder Hausarzt arbeiten“, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach aus Weibersbrunn. Doch reicht das aus, um den drohenden Mangel abzufedern? Halten die alten Ärzte noch so lange durch, bis aus den Studenten fertige Ärzte geworden sind? Gerade im Spessart drohen dramatische Engpässe, da hier ein hoher Anteil der Hausärzte über 60 Jahre alt ist. Schon in naher Zukunft könnte es in kleineren Gemeinden richtig problematisch werden. Dazu kommt, dass die jungen Leute von heute viel risikoscheuer sind, als die Generationen vor ihnen. Eine Praxis bedeutet immer auch ein gewisses unternehmerisches Risiko. Dr. Lentzkow: „Viele junge Kollegen möchten in größeren Teams arbeiten, um eine Rückfallebene zu haben. Einzelpraxen, oft auch ohne moderne Ausstattung, finden kaum noch Nachfolger. Auch, weil jede technische Neuerung wie etwa ein Ultraschallgerät, kräftige Investitionen erfordern.“ Trotzdem gibt es auch bei uns einige positive Beispiele, wie es funktionieren kann. So hat das medizinische Versorgungszentrum (MVZ) aus Schöllkrippen die Praxis von Marco Brix in Dammbach übernommen. Eine angehende Allgemeinärztin wir ab Januar federführend praktizieren. Brix bleibt in seiner Praxis. Aber als angestellter Arzt, er muss sich also um die ganze Verwaltung nicht mehr kümmern. Der Mömbriser Hausarzt Bernhard Link hat nach langer Suche eine Nachfolgerin gefunden und im letzten Jahr seine Praxis erfolgreich an seine Nachfolgerin Annika Daug übergeben.
Dringender Handlungsbedarf
Die Landarztquote und ähnliche Initiativen sind erste Schritte, die möglicherweise zu spät kommen. Die Zeit drängt: Wenn nicht ausreichend junge Ärzte in die Region kommen, droht in ländlichen Gebiete wie im Spessart der Totalausfall der hausärztlichen Versorgung. Dann bleibt gerade älteren Menschen nichts anderes übrig, als in den Bus zu steigen und in die Stadt zu fahren. Zu Hausärzten, die dann noch mehr Patienten behandeln müssen.
Das sagen unsere Leser
„Wenn man zum Arzt möchte und anruft, bekommt man schlecht Anschluss, weil immer besetzt ist oder es wird nicht abgenommen. Man muss immer sehen, dass man selber weiterkommt.“
„Ich bin Privatpatient und bekomme trotzdem sehr schlecht Termine. Es ist sehr schwierig. Ich brauche jetzt einen Termin für eine wichtige Untersuchung, aber der ist erst in sechs Wochen. Also ich bin nicht zufrieden. Mein Arzt ist in Ordnung, aber der ist auch überlastet.“
"Es gibt extreme Terminvergabeschwierigkeiten. Und schlimm ist auch, dass sie in Wasserlos die Ambulanz geschlossen haben. Da muss man dann bis Hanau oder sonst wohin fahren, wenn etwas ist.“
„Generell finde ich die Versorgungslage noch gut im Vergleich zu anderen Ländern, allerdings muss ich sagen, dass die Hausärzte immer weniger werden. Wie das in der Zukunft wird, weiß ich nicht.“