Die Gefahren der (a)sozialen Medien
BAYER. UNTERMAIN (kh). „Ab ins Arbeitslager“ - „Sind ja eh zu 90% Ausländer bei den Straftaten“- „In den Kindergärten rennen durchgeknallte Drag-Queens rum, das ist ein erster Schritt zu straffreiem Sex mit Kindern“ - „Die Alternative wäre vielleicht ein Messer im Bauch gewesen“ - nur ein kleiner Auszug von Kommentaren auf unseren Social-Media-Kanälen. Die Frage, wieso Kinder und Jugendliche mit solch einer Kommunikation besser nicht konfrontiert werden sollten, erübrigt sich. Trotzdem nutzen laut einer DAK-Studie knapp 25 Prozent der Jugendlichen riskant zu viel Social Media. Aber was tun dagegen? Gibt es überhaupt ein Mittel, sie zu schützen? PrimaSonntag fragt Experten.
Erst vor kurzem wurde von der DAK-Gesundheit und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Studie veröffentlicht, dass hochgerechnet 1,3 Millionen Kinder, und damit dreimal so viele wie im Vor-Corona-Jahr 2019, zu viel Zeit in den Sozialen Medien verbringen. Auch Said Rezek, Politikwissenschaftler und Experte für Hassrede im Netz, sagte uns nach einem Vortrag in Aschaffenburg: „Allgemein ist festzustellen, dass in sozialen Netzwerken die Hemmschwelle aufgrund der Anonymität und Distanz sinkt. Menschen sagen häufig Dinge, die sie in der analogen Welt nicht sagen würden. Während der Pandemie hat sich die Anzahl der Hasskommentare stark erhöht. Fakt ist, dass viele Erziehungsberechtige gar nicht wissen, was ihre Kinder im Internet treiben und verbreiten. „Medienkompetenz ist neben Lesen, Schreiben und Rechnen eine zentrale Grundkompetenz. Das Problem: Die Eltern sind oft nicht so weit wie ihre Kinder, wenn es um soziale Netzwerke geht“, bestätigt uns Rezek. „Wenn es um Filterblasen geht, herrschen große Wissenslücken.“ Sprich: Die Kids müssen lernen, wo sie seriöse und geprüfte Inhalte herbekommen, wie sie ihre Meinung bilden können. Des Weiteren ist Rezek der Meinung, dass auch Schulen in der Hinsicht einen Bildungsauftrag haben: Schulen sind sich der Notwendigkeit von Medienkompetenz zwar häufig bewusst, aber es sollte noch systematischer ausgebaut werden, nicht nur ab und zu in Veranstaltungen. Das Erlernen der Medienkompetenz sollte ein fester Bestandteil im Lehrplan sein. Im Idealfall sollte es als Unterrichtsfach eingeführt werden. Altersgrenzen bei Social Media werden nicht gelebt und kontrolliert, deshalb ist es viel wichtiger, dass Eltern wissen, was die Kinder machen und die Lehrkräfte sich mit den Schüler:innen darüber austauschen. Gerade bei Jugendlichen ist das Bewusstsein für Rassismus noch nicht stark ausgeprägt. Die Jugend ist in dem Falle auch nur ein Spiegel unserer Gesellschaft und wir werden nun einmal alle rassistisch sozialisiert. Umso wichtiger ist die frühe Aufklärung in der Schule“
Social Media macht krank
Das ständige Vergleichen mit anderen, reicheren, hübscheren und vor allem glücklicheren Menschen - dafür sind Kinder und Jugendliche total anfällig. Aber auch die übermäßige Nutzung der Online-Plattformen fördert Depressionen im jungen Alter und andere psychische Krankheiten. Das bestätigte uns auch die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach: „Klar ist: Die Nutzung sozialer Medien gehört für die meisten Jugendlichen mittlerweile zum Alltag. Die Verdopplung des Social Media-Nutzungsverhaltens ist ein Alarmzeichen! Medien- und Internetsucht kann gravierende gesundheitliche und psychosoziale Folgen haben, dazu gehört zum Beispiel die Vernachlässigung sozialer Kontakte oder schulischer Verpflichtungen. Bei einer problematischen Nutzung können auch Entzugserscheinungen wie Wut, Verzweiflung oder Niedergeschlagenheit auftreten.“
Es gibt Hilfe
Projekte wie „Net-Piloten“ oder „Netzgänger 3.0“ sorgen in Schulen immerhin für Aufklärung und schulen die Kids in Sachen Social Media Nutzung. „Um einer Mediensucht vorzubeugen, ist eine umfassende Medienerziehung und -kompetenz ganz entscheidend. Wir müssen Kinder und Jugendliche befähigen, verantwortungsbewusst und reflektiert mit digitalen Medien umzugehen“, so Gerlach, „ In Bayern gibt es verschiedene Projekte im Bereich der Medienkompetenzförderung wie beispielsweise die Initiative Medienführerschein oder die App ‚Wo ist Goldi‘, die das spielerische Erlernen von Medienkompetenz ermöglicht.“ Entscheidend ist allerdings, wie unsere Kinder und Jugendliche Anstand, Moral und offene, faire Kommunikation vorgelebt bekommen und da kann man bei einem Blick in die sozialen Medien leider oft nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Das sagen die Leser
„Wenn Eltern heutzutage ihre Ruhe wollen, drücken sie ihren Kindern einfach schnell ein Handy in die Hand. Dann sind sie ruhiggestellt. Wir kennen Kinder, die nicht sprechen können, weil die Eltern die Kinder einfach vor Geräte setzen, anstatt sich mit ihnen zu beschäftigen. Viele machen es sich so sehr leicht.“
„Von Verboten halte ich nichts, dann ist das Tablet erst richtig interessant. Man muss mit dem Kind im Austausch bleiben und zusammen Regeln finden. Dafür muss man als Familie aber erst die Ressourcen aufbringen.“
„Ich finde es schwierig heutzutage. Ich hatte auch schon mit zwölf Social Media. Ich glaube, jetzt sind uns die Gefahren bewusster. Ich würde mein Kind zum Beispiel nicht im Internet zeigen. Ich habe schon sehr schlimme Videos auf TikTok gesehen, die ein Kind wahrscheinlich lebenslang traumatisieren würden.“
„Ich glaube, eine große Gefahr ist der Informationsüberfluss. Jugendliche und Kinder können gar nicht mehr erkennen, was wichtig ist und was nicht. Es ist einfach zu viel. Ich würde versuchen, mein Kind abzulenken, mit Sport zum Beispiel.“