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Vor 80 Jahren wütet der Krieg in Aschaffenburg - Zeitzeugen berichten

30.03.2025, 08:00 Uhr in PrimaSonntag
Zeitzeugen WKII

ASCHAFFENBURG (ld). Es war eine schwierige Zeit vor 80 Jahren in Aschaffenburg. Der Zweite Weltkrieg ist im März 1945 schon fast zu Ende, doch um die Stadt wird gerade in diesen letzten Kriegstagen erbittert gekämpft. In den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs bleibt Aschaffenburg - von einigen Ausnahmen abgesehen - von Angriffen verschont, doch das ändert sich schlagartig im September 1944. Ab diesem Zeitpunkt ist Aschaffenburg das Ziel alliierter Luftangriffe.

Aschaffenburg ist strategisch von Bedeutung, weil die Stadt zwischen Würzburg und Frankfurt liegt und an das Eisenbahnnetz angebunden ist. Besonders die Innenstadt ist mit Herstallstraße, Roßmarkt, Schloss Johannisburg und Hauptbahnhof stark von den Bombardierungen betroffen, ebenso viele Fabriken. Der schlimmste Angriff am 21. November fordert 344 Tote. „Die Angst war allgegenwärtig. Die Luftangriffe sind etwas Neues, was die Kriegsführung angeht“, erklärt Vaios Kalogrias vom Aschaffenburger Stiftsarchiv. Die Stadt ist zudem schlecht darauf vorbereitet. Es gibt keine Strategie gegen die Bombardierungen und die Luftschutzbunker bieten keinen ausreichenden Schutz. Vieles muss improvisiert werden, weil der Vormarsch der amerikanischen Truppen schnell vorangeht.

Sinnlose Schlacht um Aschaffenburg
Besonders schlimm wird die Lage Ende März 1945, als die „Schlacht um Aschaffenburg“ beginnt. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben kommt vollkommen zum Erliegen. Nicht einmal Schule findet wie gewohnt statt, denn die Schüler müssen Räumungsarbeiten leisten. „Man kann sagen, dass ab Herbst 1944 bis zur Unterzeichnung der Kapitulation am 3. April 1945 Aschaffenburg im Zeichen des totalen Kriegs stand. Ein wichtiger Grund dafür war, dass der Kommandant Emil Lamberth sich in der letzten Kriegsphase geweigert hat, die Stadt den vorrückenden amerikanischen Truppen zu übergeben“, erzählt Kalogrias. Es kommt zu Kämpfen in der Innenstadt, bei denen auch viele Unbeteiligte ihr Leben verlieren. Der Leiter des Stiftsarchivs Dr. Joachim Kemper ergänzt: „Es war militärisch sinnlos und hat durchaus noch einmal traumatisiert, auch die Gegenseite.“ Denn auch viele US-Soldaten fallen bei der Befreiung der Stadt.

Kriegsverbrechen bis zum Schluss
Der Kampf um Aschaffenburg ist auch von Kriegsverbrechen geprägt. Zwar gibt es vor Ort keine Todesmärsche von KZ-Häftlingen wie beispielsweise durch das Kinzigtal, doch auch bei uns haben Angehörige von SS und Wehrmacht nicht vor Morden zurückgeschreckt. Besonders tragisch ist die Geschichte von Friedel Heymann. Der Leutnant wird von einem Militärgericht zu Tode verurteilt, weil er sich weigert, verwundet zu kämpfen. Am 28. März 1945 wird er in aller Öffentlichkeit in der Herstallstraße gehängt und bleibt zur Abschreckung bis zur Kapitulation der Stadt dort. Er ist das letzte Opfer der Endkriegsverbrechen in Aschaffenburg.

…und irgendwann ein Neuanfang
Der Neuanfang ist ähnlich zu dem in anderen Städten. Es stellt sich die Frage, wie man mit NS-Tätern und Leuten, die eine Rolle im Dritten Reich gespielt haben, umgeht. Der Wiederaufbau beginnt teilweise schon in den 1940er Jahren. Aschaffenburg bekommt Jean Stock als neuen Oberbürgermeister. Die Priorität damals ist, dass die Aschaffenburger so gut es geht in die Wohnhäuser zurückkehren können. Denn viele haben die Kriegszeit auf dem Land verbracht, um sich in Sicherheit zu bringen. Außerdem muss die Lebensmittelversorgung sichergestellt werden. Allmählich beginnt der Alltag wieder, die Stadt wird neu geplant und der Wiederaufbau des Schlosses beginnt. Zunächst beginnt eine Zeit der Ungewissheit, doch Aschaffenburg wird in den kommenden Jahren wieder aufgebaut.

KW13 Aschaffenburg Kriegsende Stiftsarchiv 1
Quelle: SSAA, Fotosammlung/Foto: Fritz Geist
KW13 Aschaffenburg Kriegsende Stiftsarchiv 2
Quelle: SSAA, Fotosammlung/Foto: Fritz Geist
KW13 Aschaffenburg Kriegsende Stiftsarchiv 3
Quelle: SSAA, Fotosammlung
KW13 Aschaffenburg Kriegsende Stiftsarchiv 4
Quelle: SSAA, Fotosammlung

Kurt Drutzel (97): 17. Geburtstag in Gefangenschaft bei den Amerikanern
Kurt Drutzel wächst bei seinen Großeltern in der Österreicher Kolonie auf: „Meine Jugend war wie die der anderen auch. Erst war man Pimpf, Hitlerjunge und dann kam man zu den Flakhelfern.“ Ende 1943 wird er als Oberschüler zu den Luftwaffenhelfern eingezogen. Im Krieg wechselt er häufig die Stellungen, durchläuft alle Stufen der Artillerie und bekommt nicht mit, was in seiner Heimat Aschaffenburg passiert. Am Tag der Kapitulation Deutschlands, am 8. Mai 1945, wird er in Salzburg von den Amerikanern gefangen genommen. Er wird mit etwa 50 anderen Leuten in ein Fahrzeug verladen, kommt nach Deggendorf zur Entlausung und von geht es weiter: „Meinen 17. Geburtstag konnte ich in Gefangenschaft bei den Amerikanern in Heilbronn feiern. Wir sind damals als Gefangene auf ein Feld gekommen. Da war weit und breit noch kein Zaun, nur Wachposten und Gefangene. Wer kein Zelt dabeihatte, schlief einfach auf dem Boden.“ Drei Tage passiert nichts, irgendwann bekommen die Gefangenen spärliche Verpflegung. Das Wasser war rostig, bestenfalls gab es Kaffee und Weißbrot, meistens aber Suppe - morgens, mittags und abends. Nach einer Vernehmung wird Kurt Drutzel ein Vierteljahr später überraschend aus dem Camp entlassen. Ende August kommt er mit dem Zug zurück nach Aschaffenburg und ist schockiert: „Es war verheerend. Aschaffenburg Stadt ging ja einigermaßen noch und die Gegend in der Österreicher Kolonie war ja nicht das Zentrum. Aber am schlimmsten war es in Damm.“ Die Eltern waren ausgebombt und wurden nach Kleinwallstadt evakuiert, die Großeltern sind zu diesem Zeitpunkt in Hofstetten. Kurt Drutzel meldet sich bei ihnen und kommt dort unter, muss aber in Aschaffenburg helfen, Schutt an den Floßhafen zu fahren. Nur dafür gibt es die dringend benötigten Lebensmittelkarten.

KW13 AB Zeitzeuge Kurt Drutzel 1

Christa Fleischmann (87): Ein Stück Brot zum Überleben
Christa Fleischmann wohnt damals im Schneidmühlweg in Damm. Der Vater ist im Krieg und schreibt der Mutter Briefe, die jetzt alleine mit zwei Kindern dasteht. Als Kind bekommt sie die Not und das Leid der Erwachsenen kaum mit, doch an den Luftangriff im November 1944 kann sie sich noch gut erinnern: „Durch die Sirenen wusste man, es gibt einen Luftangriff. Und sobald die ersten Angriffe kamen, mussten wir in den Keller. Es war schon schlimm, aber es hat jeder jedem geholfen. Sobald jemand ein Brot hatte, hat er dem anderen ein Stück gegeben.“ Doch nach dem Alarm ist nichts mehr, wie es vorher war: „Wir konnten nicht mehr in die Wohnung. Es war ein Block und von vorne bis hinten konnte man durchschauen, als wenn man eine Kugel geschossen hätte. Die ganzen Wände waren weg.“ In der Dunkelheit läuft sie mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder zur Friedhofsstraße, weil es dort Verwandte gibt, aber auch hier wurde alles dem Erdboden gleichgemacht. Die Familie kommt daraufhin in Würzburg bei einer Tante unter und erlebt dort wieder einen Luftangriff. Anschließend finden sie erst in Sternberg Zuflucht und werden dann, wenn auch nur widerwillig, in Goldbach aufgenommen. Eigentlich sollte Christa Fleischmann ein Zimmer bekommen, doch die Realität sieht anders aus: „Das habe ich nur zur Schau gekriegt. Sobald es hieß, es kommt eine Kontrolle, musste ich meine Büchertasche, die Hefte und die Kleider schlampig hinlegen, dass ich da wohne. Aber wir waren zu dritt in einem Bett, die Mutter mit den zwei Kindern.“ Im Ort sind sie Fremde und das bekommen sie zu spüren. Weil die Mutter bei Bekannten putzt, kümmert sich Christa Fleischmann um den Haushalt. Sie erinnert sich daran, dass sie drei Stunden für einen Liter Milch anstehen musste, weil sie immer zurückgedrängt und dann auch noch um die Menge betrogen wird. Daheim bekommt sie deshalb nochmal Ärger. Sie werden nach Strich und Faden ausgenutzt. Immerhin geht der Unterricht in der Schule schon 1945/46 relativ normal weiter: „Ich hatte die erste Klasse sechs Wochen bis zu den Angriffen, dann bin ich gleich in die zweite Klasse in Goldbach gekommen. Wir hatten in einer Schule Unterricht und unser Klassenzimmer. Es hat Schulspeisungen von den Amerikanern gegeben. Das Essen war sogar sehr gut, es gab Eispulver, Erbsensuppe und Kartoffelbrei. Es war etwas Warmes, man hat ja sonst nichts gekriegt.“

KW13 AB Zeitzeugin Christa Fleischmann 1