Dialekt-Debatte am Untermain
+++ Soll Dialekt an Schulen und Unis gelehrt werden? +++ Experten und Leser über unsere schöne Sprachkultur +++
BAYER. UNTERMAIN (mg). In Bayern tobt ein hitziger Streit: Sollen Dialekte an Universitäten erlaubt und in Grundschulen unterrichtet werden? Befürworter schwärmen von kultureller Identität und sprachlicher Vielfalt. Kritiker warnen vor Nachteilen für Bildungschancen und Hochdeutsch-Kompetenz. Besonders am Bayerischen Untermain, wo es eine Vielfalt an Dialekten gibt, kochen die Emotionen hoch. Bewahren wir unser sprachliches Erbe oder setzen wir die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel?
Der Bayerische Untermain ist ein wahres Dialektparadies. Durch die Lage ist eine große fränkische Sprachprägung zu erkennen, doch der hessische Einfluss lässt sich nicht von der Hand weisen - besonders im Kahlgrund und rund um Aschaffenburg. So gut wie jede kleine Gemeinde hat ihre eigene Sprache, was unsere Region noch ein Stück besonderer macht. PrimmaSonntag hat den Versuch gewagt, unsere Region in drei Gruppen zu unterteilen: der Kahlgründer Dialekt, das Aschaffenburgerisch und das Miltenbergerisch.
Ein Hauch Hessen im Herzen Bayerns
Im idyllischen Kahlgrund spricht man einen Dialekt, der stark vom Hessischen beeinflusst ist. „Wenn man in Mannheim ist, denkt man, warum sprechen die eigentlich unseren Dialekt?“, erzählt Bernhard Gries aus Mömbris. Seit 2008 tourt er mit seinen Kahlgründer Kollegen Walter und Jagi als „Tres Grenados“ durch die Wirtschaften der Region. Die „Wättschaftskapelle“ singt Lieder im Original Kahlgründer Dialekt - auch wenn es manchmal schwierig ist, den zu vereinheitlichen: „Selbst im Kahlgrund unterscheidet sich ja der Dialekt von Ort zu Ort: Der eine sagt ‚rut‘ der andere sagt ‚rot‘. So ist das eben“, erzählt Gries. Für den Musiker ist der Dialekt Teil seiner Identität: „Es macht einen aus und ohne wäre unsere Sprache doch langweilig. Es ist schön zu wissen, wo jemand herkommt.“
„Willscht, kannscht oder muscht“
Ganz anders sieht es im südlichen Teil des Kreises Miltenberg aus. „Bei uns in der Ecke sagt man eher ‚willscht, kannscht oder muscht‘ - da ist eben dieses typische ‚sch‘ drin, was man beinahe schon in badische Regionen verorten kann“, erzählt Hedi Eckert aus dem Neunkirchener Ortsteil Richelbach. Sie ist seit 2000 Heimatpflegerin für den Kreis Miltenberg mit speziellen Aufgabengebieten, wie der Mundart. „Der Kreis Miltenberg ist sehr vielfältig vom Dialekt her.“ Kein Wunder, er streckt sich ja auch über eine große Fläche. „Die verschiedenen Sprachräume machen den Landkreis ein Stück weit aus. Und geht ja vor den Toren Aschaffenburgs in Niedernberg und Sulzbach los. Er dehnt sich über den Spessart, in dem verschiedene Dialekte gesprochen werden, bis hin zur Amorbacher Schleife im Süden, die an Baden-Württemberg angrenzt. Auf der einen Seite wird eher Odenwälder Dialekt gesprochen, während auf der anderen Seite des Flusses, im Bereich von Wertheim, ein anderer Dialekt vorherrscht. Richtung Obernburg hoch geht’s dann wieder ins Hessische. Doch die Sprache befindet sich in einem stetigen Wandel.
Sonderfall Aschaffenburg
Der Großostheimer Ehrenbürger Ewald Lang sieht es genauso: „Es gibt Wörter aus der Kaiserzeit, die benutzt heute keiner mehr. Aber das Grundgerüst ist eben geblieben.“ Für den Ortshistoriker hat Dialekt vor allem auch etwas mit Herrschaften zu tun. „Unsere Spessartseite hat zum Kurfürstentum Mainz gehört. Der östliche Spessart eher zum Würzburger Fürstbistum. Je mehr die Menschen zusammengekommen sind, desto ähnlicher wurde der Dialekt. Eine harte Grenze gab es zu den evangelisch-geprägten Dörfern, weil man ja nichts miteinander zu tun hatte.“ Generell legt er den Dialekt rund um Aschaffenburg ins rhein-fränkische. „Aschaffenburg fällt ganz aus dem Rahmen, weil die Aschaffenburger den Mainzer Hofdialekt übernommen haben. Aschaffenburg spricht Kur-Mainzerisch. Da gibt’s einzelne Worte wie „hudeln“, also flüchtiges Arbeiten, da weiß ja heutzutage kein Mensch mehr, was das heißt.“ Die Abweichungen zu Kahlgrund, Spessart und Co. sieht er nicht nur in einzelnen Wörtern, sondern in der kompletten Sprache. „Sehr schön ist der Unterschied zwischen den Kahlgründern und dem Aschaffenburger Raum: Im Kahlgrund geht man in die ‚Keych‘ und mir gehen zum Beten in die ‚Keirsch‘.“ In Aschaffenburg wird also vor allem das „sch“ hervorgehoben, im Kahlgrund dagegen eher das „ch“. Unsere Region ist sehr vielfältig, wenn es um die Sprache geht - aber trotzdem droht das Kulturgut langsam aber sicher verloren zu gehen…
Der Untermain in der Dialektdebatte
„Wir sind fast die letzte Generation, die dieses Kulturgut retten können. Weil Hochdeutsch leider in der Schule und in der Welt vorausgesetzt wird und es nicht anerkannt ist, dort Dialekt zu sprechen“, äußert sich Lang. Genau deshalb wird in Bayern gerade eine grundlegende Frage diskutiert: Sollten Dialekte, wie die am Bayerischen Untermain, an Universitäten erlaubt und an Grundschulen sogar unterrichtet werden? Kritiker befürchten, dass ein zu starker Fokus auf Dialekte die Lernchancen der Schüler beeinträchtigen könnte. In einer globalisierten Welt sei es wichtiger, Hochdeutsch und Fremdsprachen zu beherrschen, um beruflich erfolgreich zu sein. Am Bayerischen Untermain wird die Debatte besonders leidenschaftlich geführt. Viele Bewohner sind stolz auf ihre sprachlichen Wurzeln und sehen in der Förderung des Dialekts eine Chance, ihre Kultur zu bewahren. Andere sind skeptischer und plädieren dafür, Dialekte eher im familiären Umfeld als im Bildungssystem zu pflegen.
Egal wie die Diskussion letztlich ausgeht, eines ist sicher: Der Dialekt am Bayerischen Untermain ist ein kostbares Gut, das es zu bewahren gilt. Ob in Kahlgrund, Aschaffenburg oder Miltenberg - die Menschen hier wissen um den Wert ihrer Sprache.
Das sind die Lieblings-Dialekt-Wörter unserer Leser:
Karoline Büdel aus Alzenau: „Ich bin in Alzenau groß geworden. Ich kann mich noch erinnern, dass wir immer ‚Schuhbännl‘ zu Schnürsenkel oder ‚Bloud‘ zu Blut gesagt haben.“
Rosemarie Blaß aus Rückersbach: „Mein meist benutztes Wort ist ‚Koltern‘. Eine ‚Koltern‘ ist eine einfache Wolldecke. Außerdem sagen wir halt zu Johannesberg einfach nur ‚Kanzberch‘.“
Ingeborg Fleckenstein aus Omersbach: „Als ich in Hösbach gewohnt habe, ist mir das wie eine Fremdsprache vorgekommen. Dann ist mein Sohn mal heimgekommen und hat mich gefragt was eine ‚Innerhos‘ ist. Da musste ich auch erst überlegen. Dass damit eine Unterhose gemeint ist, hab ich erst später verstanden.“
Ralf Debes aus Mömbris: „Mein Lieblingswort ist schlicht und einfach ‚Hannebambel‘. Das ist einer, der ein bisschen komisch ist, sich hängen lässt, auch geistig und nicht ganz so fit ist. Ich kenne einige in meinem Umfeld, die das Wort häufig benutzen.“
Siggi Huck aus Mensengesäß: „Alle im Kahlgrund sprechen platt. Aber man kann sich schon verständigen. Ich sage immer ‚Des basst scho oder wenns ned basst, dann isses mir halt woscht‘. ‚Des is mir woscht‘ beschreibt den Kahlgrund eigentlich ganz gut.“
Eleonore Meisenzahl aus Elsenfeld: „Meine Enkelkinder sollen Dialekt und auch Hochdeutsch lernen. Das ist mir sehr wichtig. Nur bei dem Wort ‚sabberlot nochemol‘, also was soll denn das schon wieder, müssen sie immer lachen.“
Armin Ullrich aus Würzburg zu Besuch in Obernburg: „Dialekt hat eine Form von Authentizität. Ich fände es schade, wenn das verloren gehen würde, weil ich mich immer freue, wenn ich Leute fränkisch reden höre. Man erkennt sich wenigstens gleich.“
Christine Bauer aus Elsenfeld: „Leider spricht kaum noch jemand Dialekt, das finde ich sehr schade. Dabei gibt es so schöne Wörter wie ‚Krumbern‘ für Kartoffeln oder ‚Dippe‘ für Topf.“
Frank aus Guggenberg: „Bei uns in Guggenberg wird immer noch mehr fränkisch gesprochen. Trotzdem ist es hier in der Region sehr interessant, weil sich so viele Dialekte vermischen. Selbst wenn die Leute fränkisch reden, sagen sie ‚Ei Gude‘ zur Begrüßung.“