„Das waren unsere Wohnzimmer!“
BAYER. UNTERMAIN (mg). Während die Erinnerungen an legendäre Discos wie das Papillon, das Aladdins oder das Boogie Woogie die Herzen vieler Nachtschwärmer höherschlagen lassen, gibt es noch weitere Kultstätten, die weit über die Region hinaus für ihre außergewöhnliche Atmosphäre und legendären Partys bekannt wurden. In Teil II stellen wir euch einige weitere vor.
Spessart Räuberschänke „Paula“ in Krausenbach
Im Jahr 1968 ahnte niemand, dass eine kleine Eisdiele im beschaulichen Spessartdorf Krausenbach zu einer Legende des Nachtlebens werden würde. Doch durch kreative Ideen, unermüdliche Erweiterungen und vor allem durch die Seele des Hauses, Paula, wurde aus dem bescheidenen Anfang ein Hotspot für Feierwütige aus einem Umkreis von über 100 Kilometern. Eine kleine Tanzfläche entstand, DJs legten auf und am Wochenende war die Räuberschänke regelmäßig brechend voll. Doch das wahre Herz der Räuberschänke war Paula selbst. Mit ihrer warmherzigen Art, ihrem unermüdlichen Einsatz und ihrer Fähigkeit, für jeden Gast eine Beichtmutter, Psychologin oder einfach eine gute Freundin zu sein, prägte sie die Atmosphäre des Clubs wie niemand sonst. Die legendären Partys der Räuberschänke waren Highlights des regionalen Nachtlebens. Die Liste der prominenten Gäste reicht von Roy Black und Lord Ulli bis hin zu TV-Stars wie dem Team von Lenßen und Partner. Auch Helmut vom Papillon aus Teil I hat hier seine Jugend verbracht. Mehrere Hundert Paare lernten sich kennen und heirateten, Soldaten wurden in schwierigen Zeiten von Paula unterstützt und für Gäste aus Städten wie Frankfurt war die Räuberschänke ein vertrauter Rückzugsort mit dem Charme des Spessarts. Paula, die Seele der Räuberschänke, verstarb 1994. Ihr Mann Herbert folgte ihr 2014. Seitdem führen Heinz und Corinna die Familientradition weiter. Und obwohl die Räuberschänke seit 2020 in einem Dornröschenschlaf verweilt, ist klar: Die Geschichten, die hier geschrieben wurden, sind unvergessen und es besteht Hoffnung, dass der Geist von „Paula“ eines Tages wieder zum Leben erwacht.
Cave in Aschaffenburg
Es war stickig, laut und unglaublich cool - das Cave am Roßmarkt 21 war der Ort, an dem Aschaffenburg in den 80er und 90er Jahren lebte, tanzte und sich verliebte. Maria und Klaus „Flocky“ Noever verwandelten den ehemaligen Jazzkeller ab 1979 in eine pulsierende Disko, die über fast zwei Jahrzehnte hinweg das Nachtleben der Stadt prägte. Maria, die resolute Chefin an der Tür, war berüchtigt: „Mich haben sie gehasst, Flocky unten geliebt“, lacht sie heute. Sie ließ nicht jeden rein, aber wer es schaffte, kam in eine andere Welt. Unter blauer Lackfolie und weißer Holzverkleidung sorgten bis zu 15 DJs für die angesagtesten Sounds: von Soul und Funk bis hin zu Techno. Der legendäre Mike Staab oder DJs aus Paris oder aus der Schweiz standen an den Turntables - immer mit den heißesten Platten aus Amsterdam im Gepäck. Offiziell war der Gewölbekeller für 250 Gäste zugelassen, aber an guten Abenden drängten sich bis zu 700 Partygäste auf der Tanzfläche. Und Maria? Sie liebte die Sonntagspartys. „Da war die Aschaffenburger Gastro-Szene da und ich habe früher Feierabend gemacht. Wir haben gefeiert, getanzt - richtig Gas gegeben!“ Das Cave war bekannt für seinen engen Kontakt zu den Gästen. „Es war wie eine große Familie“, schwärmt Maria. Doch das Nachtleben änderte sich Ende der 90er. Clubs mit Nachtlizenzen und Großraumdisko-Flair machten kleinen Locations wie dem Cave das Überleben schwer. 1998 war Schluss. Das Gebäude am Roßmarkt wurde längst abgerissen, doch die Erinnerungen bleiben: schwitzige Nächte, durchgetanzte Schuhe und die unvergessliche Energie eines Kellers, der zur Legende wurde. Und diese Legende wird heute noch gelebt - Misha Bender, der seine Karriere als 17-Jähriger DJ im Cave startete, organisiert seit 20 Jahren die „Cave-Nächte“, zuerst im Goya und später in der Anna. Diese Abende sind mehr als nur Revival-Partys - sie sind eine Zeitreise in die 80er und 90er - ein Wiederaufleben der Energie, die das Cave einst ausmachte.
Goya/Anna in Aschaffenburg
Die Geschichte des Aschaffenburger Nachtlebens wäre ohne das Cave undenkbar - und ohne Misha Bender erst recht. „Da stand er oben bei mir, ein 17-jähriger Junge mit einem Demo-Band in der Hand. Irgendwann hat er seine Chance bekommen - und er hat sie genutzt“, erinnert sich Maria vom Cave. Für Misha war das der Startpunkt einer beeindruckenden Reise. Schnell entwickelte er sich zu einem festen Bestandteil der Szene und eroberte bald die bekanntesten Clubs Deutschlands, darunter das Dorian Gray in Frankfurt. Als alleinerziehender Vater suchte er jedoch eine Basis in seiner Heimat und eröffnete 2002 das Goya in der Würzburger Straße „Eine Bretterbude“ - wie er es damals beschreibt. Doch mit seinem Gespür für Musik und Atmosphäre verwandelte er den Raum in einen der heißesten Clubs der Stadt. Das Goya war kein Ort für den Mainstream - hier regierten House, Hip-Hop und elektronische Klänge. Als sich dann 2005 die Möglichkeit ergab, die Location in der Bavaria Passage zu übernehmen, griff er zu. Ein neuer Club war geboren: die Anna. Während das Goya für Underground und Subkultur stand, sollte die Anna ein elitärer Club werden, der auch den Mainstream ansprach. „Wir wollten eine Mischung schaffen - für Jung und Alt, mit toller Musik und einer eleganten Atmosphäre“, erklärt Misha. Doch die ersten Monate waren eine Herausforderung. „Alle, die vorher ins Goya gegangen sind, standen plötzlich vor der Anna. Es hat gedauert, bis beide Läden ihre eigene Identität hatten.“ Die Anna wurde zu einer festen Größe in Aschaffenburgs Nachtleben. 2014 gab er nach zwölf Jahren das Goya ab, letztes Jahr dann auch die Anna. „Das Nachtleben hat sich verändert. Früher ging man in Clubs, um Menschen kennenzulernen. Heute passiert das alles online. Die jungen Menschen heute können sich nicht vorstellen, wie locker und fröhlich es damals war“, sagt Misha. „Die Atmosphäre, die Musik, die Begeisterung - das war einzigartig.“ Was viele nicht wissen: Benannt hat Misha den Club Anna nach seiner Mutter.
Philadelphia in Pflaumheim
In den 80ern war das Philadelphia - liebevoll „Phila“ genannt - das Herzstück des Nachtlebens in Pflaumheim. Mitten im Dorf gelegen, lockte die Diskothek nicht nur die lokale Jugend, sondern auch Partygänger aus dem Kreis Aschaffenburg und dem Odenwald an. DJ Volker, der dort als Resident-DJ die Plattenteller zum Glühen brachte, erinnert sich an „legendäre Zeiten mit Doppeldecker-Partys am Donnerstag und Asti-Abenden am Dienstag“. Anfangs dominierten Fox und Disco-Hits, später fanden Funk, Soul und sogar New Wave ihren Platz. „Die Gäste pendelten oft zwischen dem Papillon, dem Cave und dem Phila - unser Vorteil war, dass wir länger geöffnet hatten“, erzählt Volker. Die Tanzfläche füllte sich regelmäßig mit Nachtschwärmern, die den besonderen Charme des Phila genossen. Ab 1988 übernahmen Volker und Gerhard Stegmann die Disco und renovierten diese umfassend. Im Netz kursieren Anekdoten, die das Leben im Phila lebendig machen: Vom verkaterten Auto vor der Kirchentür, das den Sonntagsgottesdienst blockierte, bis hin zu Erinnerungen an die flinke Bedienung, die das Bier schon servierte, bevor die Bestellung ausgesprochen war. Doch so ausgelassen die Stimmung auch war, die Lage mitten im Dorf wurde dem Phila schließlich zum Verhängnis. „Mit den Nachbarn hat es irgendwann nicht mehr funktioniert“, erinnert sich Volker an die Schließung 1990. Damit endete eine Ära, die Pflaumheim zum Hotspot des Nachtlebens machte - doch die Erinnerungen an die Nächte im Philadelphia bleiben unvergessen.
Filou, Gloris, Joy und Tanz-Arena im Kreis Miltenberg
Die 80er und 90er waren im Kreis Miltenberg eine Zeit voller pulsierender Beats und schillernder Lichter. Vier Clubs prägten diese Ära: das Joy, das später als Gin-Gin und Apoll bekannt war, das Gloris in Bürgstadt, die Tanz-Arena in Großheubach und das Filou in Elsenfeld. DJ Lloerdy, der in allen vier Diskotheken an den Turntables stand, erzählt von einer Zeit, in der das Nachtleben boomte und die Tanzflächen immer voll waren. Das Joy, eröffnet 1977, war die erste Diskothek in Miltenberg und Umgebung - und das nicht ganz ohne pikante Vorgeschichte: „Vorher war das ein Puff“, erinnert sich Lloerdy lachend. Mit gerade mal 18 Jahren startete er dort seine DJ-Karriere. „Das Joy hatte Montag bis Sonntag offen - und es war jeden Tag voll“, erzählt er begeistert. Modeschauen und die angesagtesten Tracks machten das Joy zur Nummer 1 in der Region. Anfang der 80er setzte das Gloris in Bürgstadt neue Maßstäbe. „Das war seiner Zeit weit voraus“, erzählt Lloerdy. Mit seiner doppelten Clubstruktur und einer phänomenalen Musikanlage zog es sogar Gäste aus Frankfurt und Offenbach an. „Stell dir vor, die Leute sind nach Bürgstadt gefahren, um zu feiern!“ Doch der Erfolg hatte seinen Preis: Anwohner störten sich an der Lautstärke und dem Besucheransturm, was zu zeitweisen Sperrstunden führte. 1985 eröffnete die Tanz-Arena in Großheubach - mit DJ Lloerdy an den Decks. „Von Anfang an war die Tanz-Arena jeden Tag proppenvoll“, erinnert er sich. Der Club wurde schnell zu einem der Hotspots für Partygänger, Ende der 80er eröffnete das Filou in Elsenfeld. Für Lloerdy war es mehr als ein Club: „Sonntags war das wie mein Wohnzimmer.“ Die anfänglich überschaubaren 200 Gäste wurden bald zu 1000 und das Filou entwickelte sich zu einer der angesagtesten Locations. Vor allem Techno fand hier später eine Heimat und machte den Club mit der Zeit immer exklusiver. Doch gegen Ende der 90er flaute das Partyleben im Kreis Miltenberg ab. Die junge Generation zog es verstärkt nach Frankfurt oder Aschaffenburg und die einst glorreichen Clubs wurden ruhiger.