„Das ist eine Demütigung!“
BAYR. UNTERMAIN (hw). Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten zu zweit in einem Betrieb. Am gleichen Projekt, mit der gleichen Arbeitskleidung und den gleichen Stunden. Ihr Kollege bekommt am Ende des Monats aber für die gleiche Arbeit mehr Gehalt. Klingt unfair? Ist aber in Deutschland und auch in unserer Region leider Realität. Frauen verdienen laut aktueller Studie des Statistischen Bundesamts im Durchschnitt 18 Prozent weniger in der Stunde als Männer. Die sogenannte „Gender Pay Gap“, also die Lücke zwischen den Gehältern bei Mann und Frau, ist laut der Studie seit 2020 bei 18 Prozent Unterschied geblieben. Seit vier Jahren bleiben diese 18 Prozent konstant stehen und zeigen, wie mangelhaft die Gleichstellung von Mann und Frau, die im Grundgesetz festgelegt ist, im Arbeitsalltag an manchen Stellen umgesetzt wird.
Die Deutsche Bahn hat jüngst bereits zum zweiten Mal in diesem jungen Jahr gestreikt. Für bessere Arbeitsbedingungen und für mehr Geld. Obwohl diese Streiks die Bevölkerung langsam nerven, bewegen sie offenbar etwas und sorgen dafür, dass die Bahnmitarbeiter mehr Geld bekommen. Sollten also auch alle Frauen Deutschlands einfach mal streiken? Die Statistik sagt ja. Denn 4,46 Euro pro Stunde bekommen Frauen durchschnittlich weniger als ihre männlichen Kollegen. Das ist zwar ein geringerer Satz als noch vor 20 Jahren (2006 betrug die Lücke zwischen den Gehältern noch 23 Prozent), aber ein Ende der Ungerechtigkeit ist noch lange nicht in Sicht. Und dort setzt Dr. Birgit Happel aus Kleinostheim an. Die Finanzpsychologin weiß um die Problematik der Lohnlücke der Geschlechter. „Das Problem ist zum einen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt schlechter gestellt sind, also auch von Diskriminierung betroffen sind. Das ist einfach ungerecht. Weiterhin ist es grundsätzlich problematisch, dass soziale Berufe sehr viel schlechter bezahlt werden als die Arbeit an Maschinen, auch dies spiegelt sich in der Lohnlücke. Die Berufswahlpräferenzen von Männern und Frauen sind über die Jahre recht stabil, das heißt, wir haben weiterhin typische Männer- und Frauenberufe“, sagt Happel.
Traditionelle Rollen
weiter hoch im Kurs
Die schlechtere Bezahlung ist aber nicht die einzige negative Konsequenz, die aus der Gender Pay Gap folgt, mahnt Happel: „Die Konsequenzen sind weitreichend, vor allem in Bezug auf die Rollenverteilung in Familien. Wenn es um die Frage geht, wer zu Hause die unbezahlte Arbeit, wie Kindererziehung, Haushalt, Pflege übernimmt, entscheiden sich die Paare nach wie vor für eine eher traditionelle Verteilung. In der überwiegenden Mehrheit leisten Frauen die unbezahlte Arbeit in der Familie. Sie stecken beruflich zurück und bleiben in der finanziellen Abhängigkeit von ihren Partnern.“ Somit ist es schwierig, als Frau aus der Teilzeit rauszukommen und an sich schon mehr zu verdienen, weil die meisten noch ohne Vergütung die Kindererziehung übernehmen oder Eltern pflegen. Um diese ungerechte Situation zu überwinden, müssen auch Arbeitgeber und Unternehmen für faire Löhne sorgen, meint Happel. Aber liegt die Schließung der Gender Pay Gap nur beim Arbeitgeber und in der Schuld der Männer? Ein Ende des Patriarchats zu fordern, ist dabei so einfach wie unproduktiv. Denn die Entscheidungen über die Löhne werden nicht vom Feminismus gefällt, sondern in Büros bei Gehaltsverhandlungen. Happel rät, dort anzusetzen und empfiehlt sogar einen Jobwechsel in Betracht zu ziehen, um beim neuen Arbeitgeber besser verhandeln zu können: „Ich rate Frauen, sich sehr früh mit diesen systemischen Zusammenhängen zu beschäftigen. Wir hinken bei der gerechten Rollenverteilung hinterher und haben zum Teil überholte Rollenbilder. Eine Familienarbeitszeit von 32 Stunden könnte helfen. Junge Frauen sollten sich davor hüten, zu denken, das ist alles nur eine Frage der Organisation. Viele Menschen machen sich auch erst zu spät bewusst, wie eng die Lebensplanung am Geld hängt. Für mich ist die gerechte Verteilung der unbezahlten Arbeit ein Schlüsselfaktor.“
Junge Mädchen
sensibilisieren
Auch die Agentur für Arbeit in Aschaffenburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Thema Gender Pay Gap bei den Hörnern zu packen. Sonja Krimm ist eine von ihnen. Ihr Job ist es, Frauen im Berufsleben zu unterstützen und ihnen die richtigen Werkzeuge mit auf den Weg zu geben. „Wichtig ist, dass die stereotypischen Berufsziele aufgebrochen werden. Wir setzen da schon in den Schulen an und versuchen junge Mädchen für die sogenannten MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) zu begeistern.“ Außerdem werden Beratungsangebote für Frauen gegeben, um sie auf Gehaltsgespräche vorzubereiten. Dass der Gender Pay Gap geschlossen werden muss, darüber sind sich beide Frauen einig: „Die Ungleichbehandlung ist demütigend. Es gibt inzwischen einige Beispiele von Frauen, die Klagen gegen ihren Arbeitgeber öffentlich gemacht haben. Diese Urteile können als Referenzen dienen, wenn man selbst vorhat, sich gerichtlich gegen ungleiche Bezahlung zu wehren“, meint Birgit Happel. Und auch Sonja Krimm sieht es als ein strukturelles Problem an, das von allen Seiten gemeinsam angepackt werden muss. Denn eins ist klar: Eine Ungerechtigkeit wie weniger Lohn für die gleiche Arbeit kann sich eine reiche Gesellschaft wie Deutschland nicht leisten.
Das sagen die Leser:
„Unfair, weil Frauen genauso wie Männer sind. Teilweise sogar talentierter und effektiver am Arbeiten. Frauen können Multitasking - Männer nicht.“
„In manchen Unternehmen versuchen sie, die Gender-Pay-Gap zu verhindern, aber es ist so natürlich immer noch sehr traurig und unfair.“
„Also ich war Lehrerin wir wurden immer gleich bezahlt und ich bin auf jeden Fall der Meinung gleiche Arbeit - gleicher Lohn.“
„Davon halte ich überhaupt gar nichts. Warum sollten wir weniger verdienen, nur weil wir Frauen sind? Sehr ungerecht!“
„Man muss immer Leistung bezahlen. Und wenn die Leistung gewährleistet wird, ist egal, welches Geschlecht das macht. Das Produkt ist ja entscheidend.“
„Das ist sehr bescheiden. Ich bin selber pflegende Mama von einem schwer behinderten Kind und bin zu Hause. Und sollte mein Sohn mal nicht mehr sein, dann stehe ich mit nichts da. Und ich finde, Männer und Frauen sind gleichberechtigt und sollten auch gleichberechtigt entlohnt werden.“
„Ja, das darf nicht sein! Ist nicht mehr zeitgemäß - fertig. Um das zu verhindern, haben wir doch Gewerkschaften.“